Ein Tsunami der Großspeicher
Seit dem Höhepunkt der Energiepreiskrise 2022 explodieren die Pläne für große Batterie-Energiespeichersysteme (BESS) in Deutschland. Das Ziel ist klar: Diese Speicher sollen als Puffer fungieren, um die Stromversorgung zu stabilisieren, vor allem in Zeiten, in denen erneuerbare Energien wie Wind und Sonne unzuverlässig sind. Bei den vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) sind mittlerweile Netzanschlussbegehren für Großspeicher mit einer Gesamtleistung von 161 Gigawatt eingegangen – ein Vielfaches der aktuellen Netzkapazitäten. Diese Dimensionen sind beeindruckend und erinnern an die erste Goldrausch-Stimmung des 19. Jahrhunderts, als plötzlich Tausende in eine Region strömten, um nach Gold zu schürfen.
Doch wie damals im Wilden Westen gibt es auch heute viele unvorhersehbare Elemente, die den Erfolg dieser Speicherprojekte gefährden könnten. Die Netze sind bereits jetzt überlastet, und der Ausbau hinkt der Nachfrage hinterher. Die Frage, wie viele der eingegangenen Anfragen tatsächlich umgesetzt werden, ist ebenso offen wie die nach den nötigen rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen.
Die Verheißungen des Marktes
Die Marktlogik hinter diesem Speicher-Boom ist einfach und verführerisch: Batteriespeicher können bei niedrigen Strompreisen geladen und bei hohen Preisen entladen werden. Diese kurzfristigen Preisschwankungen machen das Geschäftsmodell für viele Entwickler attraktiv. Laut einer Studie von 50Hertz können Großspeicher bereits heute von der Volatilität auf dem Strommarkt profitieren, besonders durch die starken Preisschwankungen, die durch Photovoltaik erzeugt werden. Je größer die Schwankungen, desto mehr kann ein Speicherbetrieb durch „Laden und Entladen“ Gewinne erzielen.
Damit erinnern die Speicherbetreiber ein wenig an die Goldgräber der Vergangenheit, die bei hohen Goldpreisen von den riesigen Goldvorkommen in den Minen profitierten. Doch auch hier gilt: Der erhoffte Reichtum ist nicht ohne Risiko. Die Entwicklung und Implementierung von Energiespeichern erfordert enorme Investitionen, und die Unsicherheiten hinsichtlich der Netzanschlüsse und regulatorischen Hürden können die Profitabilität gefährden.
Politische Hürden und rechtliche Unsicherheiten
Genauso wie beim historischen Goldrausch die Politik ins Spiel kam, so stellen auch heute rechtliche Rahmenbedingungen eine große Herausforderung für den Markt dar. Ein zentrales Thema sind die Baukostenzuschüsse für Netzanschlüsse, die derzeit von den Speicherbetreibern gefordert werden, um ihre Projekte wirtschaftlich umzusetzen. Der Gesetzgeber hat jedoch Maßnahmen ergriffen, um hier mit flexiblen Netzanschlussvereinbarungen Abhilfe zu schaffen. Doch auch diese Novellen stoßen auf Widerstand, vor allem von Seiten der Netzbetreiber und der Bundesnetzagentur. Zudem sind die freien Anschlusskapazitäten begrenzt, was zu Verzögerungen führen kann.
Die geplante Reform, die eine flexiblere Handhabung der Netzanschlüsse ermöglicht, könnte den Speicherboom zwar ankurbeln, aber viele Fragen bleiben offen. Wie schnell und in welchem Umfang diese Speicherprojekte realisiert werden, bleibt fraglich. Ein geplantes Urteil des Bundesgerichtshofs über die Höhe der Baukostenzuschüsse könnte der gesamten Speicherindustrie eine Vollbremsung verpassen.
Goldgräberstimmung und systemische Risiken
Die Goldgräberstimmung, die sich derzeit um die Batterien und ihre Marktpotenziale rankt, birgt nicht nur Chancen, u.a. einer hohen Netzdienlichkeit und kann damit Netzausbau verhindern. Es bestehen auch systemische Risiken. Wenn zu viele Großspeicher an einzelnen Netzpunkten gleichzeitig aktiv sind, kann dies zu unvorhergesehenen Netzengpässen führen. Tennet warnte in seiner Studie, dass der derzeit rein erlösoptimierte Betrieb zu einer regionalen Häufung der Speicher führen könnte, die die Netzkapazitäten überlasten und das System destabilisieren würden. Der Tsunami der Großspeicher könnte so schnell zu einem gefährlichen Sturm werden.
Dennoch bleibt die Frage: Können wir uns diesen „Goldrausch“ leisten? Die Antwort hängt stark von den regulatorischen Anpassungen und der tatsächlichen Verteilung der Speicherprojekte ab. Der Markt könnte sich als gewinnbringend erweisen, aber nur unter der Voraussetzung, dass ein stabiler, zukunftsfähiger regulatorischer Rahmen geschaffen wird.
Fazit
Das „Schürfen nach Kilowattstunden“ ist ein treffendes Bild für die aktuelle Entwicklung im Bereich der großen Energiespeicher. Es gibt enorme wirtschaftliche Potenziale, die es zu heben gilt – doch wie beim historischen Goldrausch werden nur die wenigsten den erhofften Reichtum erlangen. Die politischen und technischen Herausforderungen sind beträchtlich. Wenn jedoch die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, könnte der Boom bei den Batteriespeichern nicht nur den Energiemarkt revolutionieren, sondern auch einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung der Energiewende leisten.
[Marcel Linnemann]