Wichtig ist an dieser Stelle aber festzuhalten, dass das Konstrukt der Kundenanlage weiterhin angewandt werden muss im EnWG, da noch keine gesetzliche Änderung erfolgt ist. Allerdings kann es schon jetzt in laufenden gerichtlichen Verfahren berücksichtigt werden. Ob industrielle Konstrukte bei der Kundenanlage, Mieter- und Gebäudestrom oder Quartierskonzepte, es gibt eine ganze Reihe von Produkten, welche von der Entscheidung betroffen sind.
Worum ging es bei dem Urteil genau? Das Verfahren behandelte ein Wärmecontractingmodell mit zwei galvanisch getrennten Anlagen je BHWK, welches aus Sicht des Netzbetreibers nicht als Kundenanlage eingestuft wurde. Diese Einschätzung wurde sowohl von der Regulierungsbehörde als auch dem OLG Dresden gestützt, allerdings vom BGH als Kundenanlage bestätigt. Das BGH gab die Vorlagefrage anschließend an das EuGH weiter. Konkret ging es um die Frage, ob der Art. 2 Nr. 28 und 29 sowie die Art. 30 ff. der EU-Richtlinie 2019/944 der Regelung zur Kundenanlage in § 3 Nr. 24a EnWG entgegenstehen.
Das EuGH entschied in diesem Zusammenhang, dass der jetzige Kundenanlagenbegriff nach § 3 Nr. 24a EnWG nicht mit Strommarkt-Richtlinie vereinbar ist! Mit der Einführung der Kundenanlage nach Art.3 Nr.24a EnWG, weiche der nationale Gesetzgeber zu stark von der autonomen Auslegung des Begriffs Verteilnetze aus der EU-Richtlinie ab. Stattdessen sieht das EuGH zwei zentrale Kriterien, wann die Pflichten eines Verteilnetzbetreibers übernommen werden: (1) Weiterleitung von Elektrizität mit HS, MS und NS, (2) zum Verkauf an Großhändlern und Endkunden. Weitere Kriterien wie die Größe, Erzeugung, wettbewerbliche Bedeutsamkeit, Menge durchgeleiteter Energie etc., welcher z. T. mit der aktuellen Kundenanlagenbegrifflichkeit verknüpft ist, sind nicht zulässig. Alleinige Ausnahmen gelten nach der Strommarktbinnenrichtlinie nur für: Bürgerenergiegemeinschaften − Geschlossene Verteilernetze − Kleine isolierte Netze, kleine Verbundnetze – Direktleitungen.
Das EuGH-Urteil selbst wirkt zuerst nur unmittelbar bindend im konkreten Verfahren, bei dem nun das BGH oder bei der Zurückweisung an das OLG Dresden die EuGH-Entscheidung berücksichtigt werden müssen, direkte Auswirkungen auf jetzige Kundenanlagen im Sinne des EnWG gibt es aber noch nicht. Trotzdem ist nun von Seiten der Bundesregierung eine unionskonforme Auslegung umzusetzen, welche allerdings erst durch die kommende Regierung zu erwarten ist. Bei aktuell laufenden Verfahren könnte die EuGH-Entscheidung trotz noch fehlender nationaler gesetzlicher Anpassung schon jetzt Berücksichtigung finden.
Zwar hat die EuGH-Entscheidung sich konkret nicht mit einer Kundenanlage nach §3 Nr.24b EnWG beschäftigt, allerdings gibt es eine indirekte Auswirkung durch die Bildung der zwei Kriterien für ein Verteilnetz (Hoch-, Mittel- oder Niederspannungsebene sowie die Versorgung von Kunden). Da in Kundenanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung auch häufig auch Dritte angeschlossen sind (Dienstleister, Lohnfertiger, DL, Lohnfertiger, UAN, Unterabnehmer) liegt ein Strombezug zur Versorgung über Kundenanlage vor, weswegen auch diese Kundenanlagen von der EuGH-Entscheidung betroffen sein dürften.
Würden Betreiber von Kundenanlagen ihre Privilegierung verlieren und als Verteilnetzbetreiber eingestuft werden, müssten diese umfangreiche energiewirtschaftliche Pflichten übernehmen. Dazu gehören u.a.: Genehmigung für die Aufnahme des Netzbetriebs §4 EnWG, Entflechtung nach §6ff EnWG, Beachtung der Regelungen des Netzanschluss nach §17 EnWG & §8 EEG, Systemverantwortung §13 EnWG, Netzausbau nach §§ 11 und 14d EnWG, Netzentgelte §21 EnWG, Veröffentlichungspflichten nach §23c EnWG, Messstellenbetrieb nach §3 Nr. 26b EnWG und §2 Nr.4 EnWG.
Die Konflikte, welche sich hier unmittelbar in 2025 ergeben könnten, wären z. B. folgende Punkte: Netzbetreiber könnten Kundenanlagen als nachgelagerte Netze einzustufen. Dies hat zur Folge, dass für Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE) und Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK), die in solchen Kundenanlagen angeschlossen sind, keine Einspeisevergütung gewährt wird. Zudem entfällt die Einrichtung und der Betrieb von Unterzählern gemäß § 20 Abs. 1d EnWG.
Anschlussnehmer, zu denen sowohl Letztverbraucher als auch Anlagenbetreiber bzw. Erzeuger gehören, können ihren Anspruch auf Netzanschluss bei einer Kundenanlage geltend machen. Dieser Anspruch ergibt sich aus den §§ 17 und 18 EnWG sowie aus spezifischen Regelungen des § 8 EEG und § 3 KWKG.
Die Regulierungsbehörden übernehmen die Aufgabe, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben gemäß §§ 30 ff. und § 65 EnWG zu überprüfen. Dabei kontrollieren sie, ob Netzbetreiber und Anschlussnehmer die rechtlichen Bestimmungen ordnungsgemäß umsetzen. Hier wäre in der Theorie bereits jetzt eine Auswirkung auf Kundenanlagen möglich, wobei die Behörden beide Augen zudrücken dürften, solange noch keine unionsrechtliche Anpassung erfolgt ist.
Jahresabschlussprüfer könnten im Rahmen ihrer Tätigkeit das rechtskonforme Handeln der jeweiligen Akteure, insbesondere der Netzbetreiber, in Bezug auf die Einhaltung aller relevanten gesetzlichen Vorgaben überprüfen und das Thema Kundenanlage ansprechen.
Mit Blick auf die dezentralen Einspeiser wäre zu klären, ob sich der Förderanspruch auf den Betreiber des bisherigen Kundenanlage verlagert, wenn er als VNB eingestuft wird, da sich der Förderanspruch (Marktprämie, Einspeisevergütung, Mieterstromzuschlag) an Betreiber des öff. Versorgungsnetzes richtet (§§ 19 Abs. 1, § 3 Nr. 35 EEG). Daher sollten die Regulierungsbehörden zeitnah ein Statement erlassen, dass die jetzigen VNBs weiter die Förderansprüche auszahlen dürfen und kein finanzieller Nachteil in der Zukunft dadurch entsteht. Genauso könnte sich der Anspruch der Betreiber der Einspeiseanlagen bzgl. eines Netzanschlusses verlagern, da dieser direkt gegenüber dem bisherigen Kundenanlagenbetreiber zu richten wäre.
Auch auf Direktlieferkonzepte dürften sich die Entscheidung auswirken. So gilt im EnWG eine Mindestabstandsregel von 5km zwischen der EE-Anlage und einer Kundenanlage. Im europäischen Recht findet sich der Mindestabstand nicht. Zu prüfen wäre, ob sich das Konzept der Direktleitung zu einer Kundenanlage in das Konzept der Direktlieferkonzepte „retten“ könnte. Allerdings könnte sich dies als schwierig erweisen, da bei einer Versorgung mehrerer Rechtspersonen über Direktleitung nach § 3 Nr. 12 EnWG fraglich ist; nach Art. 7 Abs. 1 lit. b) Strommarktrichtlinie wäre die Belieferung mehrerer Kunden möglich. Es bleibt also eine Einzelfallprüfung notwendig.
Auch Mieter- und Gebäudestromkonzepte dürften durch das EuGH-Urteil auf den Prüfstand gelangen. Zwar wird das Kriterium der Netznutzung nicht erfüllt, allerdings liegt eine Versorgung von Kunden vor (Kriterium 2). Da bei Mieterstromprojekten meist eine Mieterstromprämie ausgezahlt wird, wäre auch hier eine Klarstellung der Regulierungsbehörden hilfreich, dass Netzbetreiber ohne spätere Konsequenzen die Mieterstromprämie auszahlen dürfen wie bei Einspeiseanlagen. Ähnliche Fragen dürften sich auch beim Thema Quartierskonzepte ergeben, welche allerdings z. T. das öffentliche Netz mitnutzen.
In Summe zeigt sich beim Urteil zur Kundenanlage, dass es sich um ein weitreichendes Urteil handelt, welches uns über längere Zeit auch mit einer neuen Ausgestaltung beschäftigen wird. Auch wenn ein Teil des Regelungsrahmens nun in Frage steht, sollte niemand in Panik verfallen oder die Auszahlung von finanziellen Ansprüchen stoppen. Viele Kanzleien dürften sich die nächsten Monate intensiv damit beschäftigen, wie das Urteil zu interpretieren ist und mit welchen gesetzlichen Anpassungen zu rechnen ist. Genau dieses Verfahren werden wir im ENWIKO auch beobachten und weiter über den Stand der Dinge informieren.