Brauchen wir einen Industriestrompreis?
Viel wurde darüber in den vergangenen Wochen, ob Deutschland zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts aufgrund der gestiegenen Energiepreise, welche sich auf einem doppelten Niveau vor dem Russland-Ukraine-Konflikt befinden, einen Industriestrompreis einführen sollte. Allgemein wird unter dem Begriff Industriestrompreis ein spezifischer Strompreis verstanden, der für industrielle Verbraucher in einem Land oder einer Region festgelegt wird. Dieser Preis kann entweder niedriger sein als der allgemeine Strompreis oder spezielle Vergünstigungen für energieintensive Industrien beinhalten. In Deutschland wurde vor allem der erste Punkt diskutiert, bei dem der Stromverbrauch für einen Großteil des Unternehmensverbrauchs staatlich gedeckelt und durch Steuergelder quersubventioniert wird.
Unabhängig von der Frage, was am Ende zur Einführung eines Industriestrompreises für ein politisches Ergebnis stehen wird, soll sich dieser Blogbeitrag auf der allgemeinen Ebene mit den möglichen Dimensionen und Fragestellungen eines Industriestrompreises beschäftigen. Hierbei soll zum einen der Fokus auf die Fragestellung gelegt werden, welche Auswirkungen ein Industriestrompreis auf den PPA-Markt haben könnte, welche Einflussfaktoren vor der Einführung eines solchen Tarifes mitgedacht werden sollten und ob es alternative politische Steuerungsinstrumente gibt?
Welche Auswirkungen hat ein Industriestrompreis auf den PPA-Markt?
Mit Blick auf die Klimaziele und zur Sicherung langfristig stabiler Preise sowie dem Auslaufen erster EE-Anlagen aus dem EEG haben die letzten 2–3 Jahre Industrieunternehmen vermehrt damit begonnen sog. PPA-Verträge mit Erzeugern abzuschließen. PPA-Verträge (Power Purchase Agreements) im Strommarkt sind langfristige Vereinbarungen zwischen Stromerzeugern und Abnehmern, bei denen der Preis und die Liefermenge des Stroms über einen bestimmten Zeitraum festgelegt werden. Sie dienen dazu, die Stromversorgung zu sichern, Preisrisiken zu minimieren und erneuerbare Energien zu fördern. Gerade mit Blick auf die unsichere Entwicklung der Strompreise hat die Absicherung mithilfe von PPA-Verträgen an Attraktivität gewonnen.
Durch die aktuellen Marktpreise gehen Projektierer mittlerweile den Weg, erste Anlagen außerhalb der EEG-Vergütung zu errichten, da über den PPA-Markt bessere Konditionen erzielt werden können. Mit Blick auf die Energiewende eine erfreuliche Entwicklung, welche perspektivisch EE-Anlagen in den Markt ohne staatliche Förderung integrieren muss. Es stellt sich allerdings die Frage, wie sich der Industriestrompreis auf den PPA-Markt auswirken könnte:
- Verzerrter Markt: Die Einführung eines begrenzten Industriestrompreises könnte zu Marktverzerrungen führen, da der Preis nicht mehr den tatsächlichen Angebot- und Nachfragebedingungen entspricht. Dies könnte zu ineffizienten Ressourcenallokationen führen und die Entwicklung neuer Energiequellen bremsen.
- Fehlende Anreize für erneuerbare Energien: Wenn der begrenzte Strompreis unter dem Marktpreis liegt, könnte dies die Nachfrage nach erneuerbaren Energien und Investitionen in deren Entwicklung verringern. Die Förderung erneuerbarer Energien wäre möglicherweise weniger attraktiv, da die Unternehmen bereits von einem begrenzten, günstigeren Strompreis profitieren.
- Begrenzte Flexibilität: Ein fester Strompreis könnte die Flexibilität des PPA-Marktes einschränken. Unternehmen, die PPAs abschließen möchten, könnten Schwierigkeiten haben, Verträge anzupassen, wenn sich ihre Energiebedürfnisse ändern oder neue Technologien auf den Markt kommen.
Aus Sicht des PPA-Marktes sind somit die Auswirkungen eines Industriestrompreises genau zu beobachten, vor allem dann, wenn er sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Allgemein ist festzuhalten, dass je länger der Industriestrompreis gilt, desto größer dürften die Marktverzerrungen sein, außer der Marktpreis fällt unter den Industriestrompreis.
Welche weiteren Bewertungsfaktoren sind bei einem Industriestrompreis zu berücksichtigen?
Neben den Auswirkungen auf den PPA-Markt sind noch weitere Einflussfaktoren zu berücksichtigen, die sich auf das energiewirtschaftliche Umfeld auswirken könnten. Hierzu zählen u. a. :
- Wirtschaftliche Auswirkungen: Es ist wichtig zu analysieren, wie sich ein Industriestrompreis auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen auswirken würde. Welche Branchen wären betroffen? Wie könnten sich die Stromkosten auf Investitionen, Produktion, Arbeitsplätze und das Wirtschaftswachstum auswirken?
- Energieversorgungssicherheit: Die Sicherstellung einer zuverlässigen Stromversorgung ist von großer Bedeutung. Wie würde sich ein Industriestrompreis auf die Energieversorgungssicherheit auswirken? Gibt es genügend Kapazitäten, um den Strombedarf der Industrie zu decken? Könnte ein fester Strompreis die Investitionen in die Energieinfrastruktur beeinflussen?
- Umweltauswirkungen: Die Förderung erneuerbarer Energien und die Reduzierung der CO₂-Emissionen sind wichtige Ziele vieler Länder. Wie würde sich ein Industriestrompreis auf die Nutzung erneuerbarer Energien auswirken? Könnte er die Nachfrage nach sauberer Energie drosseln oder Anreize für Investitionen in erneuerbare Energien verringern?
- Auswirkungen auf den Strommarkt: Ein Industriestrompreis könnte zu Marktverzerrungen führen und die Preissignale des freien Marktes beeinflussen. Wie würde dies den Strommarkt insgesamt beeinflussen? Welche Auswirkungen hätte es auf andere Akteure, wie Haushalte und kleinere Gewerbebetriebe?
- Soziale Auswirkungen: Es ist wichtig, zu analysieren, wie sich ein Industriestrompreis auf Verbraucher auswirken würde. Könnten höhere Stromkosten für Haushalte oder kleinere Gewerbebetriebe entstehen? Welche sozialen Ausgleichsmechanismen könnten eingeführt werden, um mögliche Ungleichheiten auszugleichen?
Somit wird ersichtlich, dass es sich bei einem Industriestrompreis zwar um einen einfachen Tarif handeln kann, aber die Auswirkungen eine hohe Komplexität mit sich bringen. Aus diesem Grund ist die Ausgestaltung eines Industriestrompreises maßgeblich, sowie sich stark mit der temporären Wirkung der Maßnahme zu beschäftigen.
Gibt es Alternativen zum Industriestrompreis?
Die Feststellung, dass es sich bei einem Industriestrompreis und seinen Auswirkungen um ein komplexes Gebilde handelt, wirft die Frage auf, ob nicht alternative Steuerungsinstrumente genutzt werden könnten, um den Strompreis eines Wirtschaftsstandortes zu verringern. Mögliche Instrumente könnten u. a. sein:
- Stärkere Förderung erneuerbarer Energien: Durch den Ausbau erneuerbarer Energien können die Stromkosten langfristig gesenkt werden. Dies kann durch staatliche Anreize wie Einspeisetarife, Subventionen oder steuerliche Vergünstigungen für erneuerbare Energieprojekte erreicht werden. Vorteile sind eine nachhaltigere Energieversorgung, geringere Umweltauswirkungen und langfristige Kosteneinsparungen. Nachteile können Investitionskosten und anfänglich höhere Strompreise sein, bis die erneuerbaren Energien einen größeren Marktanteil erreichen.
- Zusätzliche Energieeffizienzprogramme: Durch die Förderung von Energieeffizienzmaßnahmen können Unternehmen und Verbraucher ihren Energieverbrauch reduzieren und dadurch ihre Energiekosten senken. Dies kann durch staatliche Unterstützung bei der Modernisierung von Gebäuden, der Nutzung energieeffizienter Technologien und der Sensibilisierung für Energieeinsparungen erfolgen. Vorteile sind geringere Energiekosten, verringerte Abhängigkeit von Energieimporten und Umweltvorteile. Ein Nachteil könnte anfänglich höhere Investitionskosten für die Umstellung auf energieeffiziente Technologien sein.
- Stärkere Liberalisierung des Strommarktes: Durch die Öffnung des Strommarktes für Wettbewerb und den Eintritt neuer Anbieter kann dies zu niedrigeren Strompreisen führen. Eine größere Auswahl an Anbietern und Tarifen ermöglicht den Verbrauchern, den günstigsten Anbieter zu wählen. Vorteile sind niedrigere Strompreise, mehr Auswahlmöglichkeiten und Innovation im Markt. Nachteile können eine höhere Komplexität für Verbraucher bei der Tarifauswahl und die Gefahr von Monopolbildung sein.
- Vermehrte internationale Energieverbindungen: Der Aufbau von Strominterkonnektoren mit benachbarten Ländern ermöglicht den grenzüberschreitenden Handel mit Strom. Dies kann zu einer größeren Versorgungssicherheit und niedrigeren Strompreisen führen, da Länder ihre Ressourcen und Kapazitäten teilen können. Vorteile sind niedrigere Strompreise, eine verbesserte Versorgungssicherheit und die Integration erneuerbarer Energien auf regionaler Ebene. Nachteile können hohe Investitionskosten für die Infrastruktur und regulatorische Herausforderungen sein.
Bei den möglichen Maßnahmen handelt es sich nur um Beispiele. Eine Kombination von Maßnahmen ist ebenfalls möglich. Genauso sind weitere Steuerungsinstrumente als die hier genannten möglich.
Fazit
Mit Blick auf den Industriestrompreis stellen wir also fest, dass es sich nicht einfach um nur einen vergünstigten Stromtarif handelt. Durch die Subventionierung des Strompreises kommt es in jedem Fall zu einer Marktverzerrung, dessen Auswirkung vor der Einführung abzuwägen sind. Auch sind die verschiedenen Dimensionen und Auswirkungen abzuwägen.
Die Komplexität des Markteingriffes ist als hoch einzustufen, weswegen die Einführung eines Industriestrompreises mit einer Operation am offenen Herzen der Energiewirtschaft verglichen werden kann, dessen Notwendigkeit ggf. erforderlich ist, aber deren Auswirkungen sorgfältig analysiert werden sollte.
Bevor der Industriestrompreis eingeführt werden sollte, sollten alternative Förderinstrumente geprüft werden und der Industriestrompreis auf die möglichst kürzeste Laufzeit begrenzt werden, um nicht gewünschte Auswirkungen gering zu halten. In diesem Sinne warten wir einmal ab, wie sich das Thema Industriestrompreis entwickelt.