Koalitionsvertrag – ein Energiepreistreiber oder sinnvolle Rahmenbedingung?
Die Themen Energieknappheit und steigende Preise haben die Energiewirtschaft auf der Lieferantenebene ordentlich durcheinandergewirbelt. Im Wochentakt sind in den Medien Meldungen von Gas- und Stromlieferanten zu lesen und die Stimmen aus der Branche mehren sich, dass die Preisexplosion der vergangenen Monate an den Börsen nicht spurlos an der Marktrolle des Lieferanten und auch der Branche gesamt vorbeigehen wird. Umso interessanter ist es daher, einen Blick nach vorne zu wagen und sich die Frage zu stellen, ob es sich bei der Entwicklung im letzten Jahr um einen einmaligen Jahreseffekt handeln könnte oder uns langfristig hohe Energiepreise an der Börse drohen.
Zwar sind Energiepreise schwer kalkulierbar, da eine Vielzahl von Faktoren und psychologische Entscheidungen des menschlichen Individuums eine Rolle spielen, jedoch könnte der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition vom Dezember 2021 einen möglichen Hinweis darauf geben, welche Energieträger maßgeblich den Strompreis beeinflussen könnten. Hierbei dürfte eine wesentliche Fragestellung sein, ob ein ausreichendes Angebot an elektrischer Energie gegeben ist, um die Nachfrage am Markt abzudecken. Ausschlaggebender Faktor dürfte hier die Menge der erzeugten Arbeit und somit weniger die installierte Leistung der Erzeugungsanlagen sein. Die Gesamterzeugungsleistung setzt sich dabei aus der bereits vorhandenen Leistung, den geplanten abzuschaltenden Erzeugungsleistungen sowie den bis 2030 neu zu errichtenden Leistungen zusammen. Aus diesem Grund wollen wir uns in diesem Blogbeitrag genauer mit den künftigen Ausbauzielen des Koalitionsvertrags beschäftigen und was diese für die Energiewirtschaft hinsichtlich des Strommixes und möglichen Auswirkungen auf den Energiepreis bedeuten könnten. Wir können zwar auch hier nur in die Glaskugel schauen, trotzdem soll der Blogbeitrag einmal den Blick über den Tellerrand werfen und potenzielle Fragestellungen aufzeigen.
Die Rahmenbedingungen: Abschalt- und Ausbauziele bis 2030
Insgesamt hat sich die neue Regierung ein sportliches Ziel mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 gesetzt. Ausgangspunkt ist eine Anhebung der Strombedarfsprognose auf ca. 680-750 TWh bis zum Jahr 2030. Diese ergibt sich aus der zunehmenden Elektrifizierung des Energiemarktes. Durch die Anhebung steigt der Bedarf der absolut zu installierenden regenerativen Erzeugungsleistung an. Gleichzeitig wird das Ausbauziel für Erneuerbare Energien von 60 % auf 80 % angehoben sowie am Atomausstieg festgehalten. Sofern möglich soll außerdem der Kohleausstieg auf 2030 vorgezogen werden. Das Delta soll möglichst durch Erdgaskraftwerke gedeckt werden.
Die zu installierende regenerative Leistung soll nach den Plänen der Regierung größtenteils durch Windkraft- und PV-Anlagen gedeckt werden. Biomasse, Wasserkraft und Geothermie spielen eine untergeordnete Rolle. Um das Ziel von 80 % EE bis 2030 zu erreichen, ist nach Angaben des Koalitionsvertrags eine PV-Leistung von ca. 200 GW erforderlich. Parallel sollen die ausgewiesenen Flächen für On-Shore-Windkraftanalagen zum jetzigen Zeitpunkt verdoppelt werden (2 % der Landesfläche). Da aktuell eine PV-Leistung von ca. 55 GW installiert ist, bedeutet dies einen Ausbau von 150 GW bis 2030. Durch die Verdopplung der Flächen für Windkraftanlagen ist auch hier eine Verdopplung der Erzeugungsleistung anzunehmen. Somit steht der Energiewirtschaft eine immense Herausforderung bevor. Es geht darum, Erzeugungskapazitäten auszubauen, eine höhere Nachfrage zu decken, den Rückgang des EE-Anteils von 2021 am deutschen Strommix wieder zu kompensieren und die geplanten Ausstiege aus der Kohle- sowie Kernenergie zu substituieren.
Erdgas-Comeback als mögliches Szenario
Legt man die Ausstiegs- und Ausbauziele auf eine zeitliche Achse bis 2030 ergibt sich ein sportliches Ausbauszenario. Denn wir müssten in knapp der Hälfte der Zeit als bislang angenommen den Ausbau der PV-Leistung verdreifachen und die Windenergieleistung verdoppeln. Berücksichtigt man, dass die Errichtung einer Erzeugungsanlage nicht von heute auf morgen passieren kann und umfangreiche Genehmigungsverfahren erforderlich sind, verkürzt sich der Zeitraumpfad zur Errichtung der geplanten Anlagenleistung immens. Unter der Annahme, dass mit dem Bau für eine PV-Freiflächenanlage nach maximal einem Jahr begonnen werden kann, dürften die ersten Anlagen zur Beschleunigung des Ausbaus in 2023 verfügbar sein. Somit blieben Deutschland maximal sieben Jahre für die Verdreifachung der PV-Leistung. Hinzu kommen noch weitere Faktoren, wie anhaltende Materialknappheit, potenzielle Engpässe auf Ebene des öffentlichen Versorgungsnetzes oder der Fachkräftemangel, der zu einem Verzug der zu installierenden Anlagen führen könnte.
Problematischer sieht es bei der Windkraft aus, da die durchschnittliche Genehmigungsdauer bei 5 Jahren liegt. Da die zusätzlichen Freiflächen für Windkraftanlagen an Land noch entwickelt werden müssten, könnte sich der Errichtungszeitpunkt auch noch weiter nach hinten verschieben. Geht man von dem Durchschnittswert von 5 Jahren aus, bedeutet dies, dass die ersten zusätzlich geplanten Anlagen ab 2027 stehen würden. Dies bedeutet, dass die zusätzlich geplanten Kapazitäten innerhalb von 3 Jahren realisiert werden müssten. Hinzu kommt am Markt eine regelmäßige Unterdeckung bei den Auktionsverfahren. Somit reicht es nicht aus, nur die Ausschreibungsmengen zu erhöhen, sondern die Rahmenbedingungen sind ebenfalls zu verbessern.
Zwar steht im Koalitionsvertrag auch, dass neue Regularien für die Genehmigung regenerativer Erzeugungsanlagen geschaffen werden sollen, allerdings wurde dieses Problem auch in vergangenen Koalitionsverträgen thematisiert, weswegen die genauen Maßnahmen der Regierung abzuwarten sind. Außerdem benötigen auch diese Maßnahmen Zeit, weswegen damit zu rechnen ist, dass das Jahr 2022 mindestens für die Umsetzung der regulatorischen Rahmenbedingungen benötigt wird.
Somit sollte eine Nichterreichung der Ausbauziele bis 2030 durchaus als mögliches Szenario mitgedacht werden. Da am Atomausstieg und Kohleausstieg weiter festgehalten wird, dürfte das sich ergebende Delta nur durch Erdgaskraftwerke decken lassen, welches mit einer Verfehlung der regenerativen Ausbauziele zunehmend größer wird. Da der Energieträger Erdgas primär für andere Sektoren wie z. B. dem Gebäudesektor zur Bereitstellung von Wärme anstatt zur Erzeugung von elektrischer Energie verwendet wird, dürfte die Nachfrage nach Erdgas in den nächsten Jahren ansteigen. Vor allem dann, wenn die Ziele der Gebäudesanierung wie in den letzten Jahren stetig verfehlt werden. Alternativ ist natürlich auch ein Import von elektrischer Energie aus den europäischen Nachbarstaaten möglich.
Veränderung der Rahmenbedingung durch die Sektorenkopplung
Durch die zunehmende Bedeutung des Energieträgers Erdgas für den Stromsektor, vor allem dann, wenn die Ausbauziele der Regierung verfehlt werden sollten, ist auch der Erdgasbedarf in weiteren Sektoren zu berücksichtigen. Wesentliches Augenmerk liegt dabei vor allem auf dem Gebäudesektor und damit der Bereitstellung von Wärme. Auch hier lässt sich ein Trend beobachten, bei dem der konventionelle Energieträger Erdgas durch den regenerativen Energieträger in Form von grünem Wasserstoff ersetzt werden soll.
Im Gegensatz zu Windkraft und Photovoltaik gibt es für den grünen Wasserstoff noch keinen funktionierenden Markt. Vielmehr befindet sich dieser mit der Schaffung der regulatorischen Rahmenbedingungen noch in der Errichtung. Da die aktuell geplanten inländischen Elektrolysekapazitäten zur Erzeugung von grünem Wasserstoff im Rahmen der nationalen Wasserstoffstrategie gerade einmal ausreichen, den heutigen Industriebedarf an Wasserstoff zu decken, ist noch nicht absehbar, inwieweit eine Substitution von Erdgas durch grünem Wasserstoff gelingen kann. Es müssten also größere Wasserstoffmengen importiert werden, so wie es bereits in den Strategien des Netzausbaus bei den FNBs vorgesehen ist, auch wenn der Koalitionsvertrag den Bedarf durch inländische Elektrolysekapazitäten decken möchte. Die Basis für den Import sind Wasserstoffkooperationen mit Drittstaaten, wie sie bereits heute von der Bundesregierung ausgehandelt werden bzw. abgeschlossen wurden.
Allerdings befinden sich diese Länder ebenfalls noch im Aufbau einer eigenen Wasserstoffinfrastruktur. Hinzu kommen politische Spannungen mit Deutschland, die den Abschluss einer Wasserstoffkooperation verhindern, wie z. B. mit Marokko, oder ungünstige geografische Bedingungen, denn für die Erzeugung von Wasserstoff werden große Mengen an Wind- oder Sonnenenergie benötigt. Problematisch ist dies vor allem in trockenen Regionen. Hier ist das Stromangebot zwar gegeben, es mangelt aber an Wasser zur Produktion des Wasserstoffes. So benötigt die Produktion von 1 kg Wasserstoff ca. 9 Liter Wasser.
Dass langfristig über 2030 hinaus der Trend zu grünen Gasen gehen wird, ist jedoch mit dem zweiten Teil des EU-Klimapakets „Fit-für-55“ absehbar, das Mitte Dezember von der EU-Kommission als Diskussionsgrundlage vorgestellt wurde. Daher sollte für 2030 mit zwei Szenarien geplant werden. Das eine Szenario sollte von einem geringen Wasserstoffanteil ausgehen, wodurch ein großer Bedarf an Erdgas sektorübergreifend zu erwarten ist. In einem zweiten Szenario könnte ein relevanter Anteil des Erdgases durch grünen Wasserstoff ersetzt werden. Da der Primärenergieanteil in Deutschland zu einem großen Anteil noch durch Erdgas gedeckt wird, ist mindestens von einem relevanten Erdgasbedarf in Deutschland auszugehen.
Fazit – Der Handlungsrahmen muss 2022 kommen
Ob es am Ende im Jahr 2030 durch die Rahmenbedingungen des Koalitionsvertrages zu einem Comeback des Energieträgers Erdgas kommt, bleibt abzuwarten. Was jedoch bei diesem Blogbeitrag bleibt, ist die Feststellung, dass die Ausbauziele und Klimaschutzpläne des Gesetzgebers auf der normativen Ebene hinsichtlich der Operationalisierung kritisch zu hinterfragen sind. Will der Gesetzgeber die Ausbauziele für regenerative Erzeugungsleistung tatsächlich erreichen, wird eine kleine Anpassung des regulatorischen Handlungsrahmens kaum ausreichen. Im Hinblick auf die teilweise langen Realisationspfade, z. B. für Windkraftanlagen, muss 2022 das Jahr der Weichenstellungen sein. Ansonsten ist auf jeden Fall von einem Scheitern der Ausbauziele auszugehen. Ein Comeback des Erdgases wäre, bedingt durch den Ausstieg der übrigen konventionellen Energieträger, zunehmend wahrscheinlicher.
Welche Rolle Wasserstoff bei dieser Entwicklung mittelfristig bis 2030 spielen wird, ist schwer absehbar. Zum einen, weil die Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene bis mindestens Mitte des Jahres benötigen werden, der Markt erst entwickelt werden muss und die deutschen Ausbauziele mit einer 10 GW Elektrolyseleistung noch zu gering sind, um den Energieträger Erdgas substituieren zu können. Zum anderen gibt es die aktuell noch fehlende Menge an grünem Wasserstoff auf dem Weltmarkt. Da die Nachfrage nach grünem Wasserstoff vermutlich zu Beginn und evtl. bis 2030 hoch sein wird und das Angebot gering ist, dürften die Preise dementsprechend hoch sein. Sollten die Ausbauziele verfehlt werden und gleichzeitig die weltweite Nachfrage nach grünem Wasserstoff und Erdgas steigen, ist mit einem hohen Preisniveau zu rechnen. Die aktuellen Energiepreise für Strom und Gas an den europäischen Energiebörsen könnten daher nicht nur eine Jahresfliege sein, sondern sich mittelfristig etablieren, bis eine vollständige Transformation des Energiesystems bis 2045 erreicht ist.
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