Drittes Entlastungspaket: Hintergrund
Anfang September hat die Bundesregierung das neue Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Mit einer Summe von bis zu 65 Milliarden Euro sollen die Bürgerinnen und Bürger entlastet werden, um mit den Preissteigerungen, bedingt durch die Inflation, besser zu Recht zu kommen. Das dritte Entlastungspaket weist somit das größte Volumen in der bisherigen Gesamtentlastung von 100 Milliarden Euro auf.
Ein wesentliches Thema stellte auch in diesem Entlastungspaket der Umgang mit den stark gestiegenen Energiekosten dar. Das Paket greift unterschiedliche Maßnahmen von Direktzahlungen, Strompreisdeckeln und einer Übergewinnsteuer für einzelne Energieversorgungsunternehmen auf. Konkret plant die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, Studierende und Rentner mit einem einmaligen Zuschuss zu unterstützen und soziale Leistungen wie den Heizkostenzuschuss zu erhöhen. Gleichzeitig ist ein vergünstigter Strompreis für den Basisverbrauch vorgesehen, den Energieversorger ihren Kunden anbieten müssen. Die Finanzierung hierfür soll mithilfe einer Übergewinnsteuer erfolgen.
Dabei zielt die Steuer stark auf erneuerbare Energien ab, die aufgrund ihrer niedrigen Grenzkosten deutlich höhere Gewinne erwirtschaften als in der Vergangenheit. Wesentlicher Treiber hierfür ist die Merit Order, die den Strompreis auf den Handelsplätzen bestimmt. Warum die Merit Order so wichtig zur Bildung des Strompreises ist und warum das Entlastungspaket der Bundesregierung den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland hemmen könnte, wollen wir uns in diesem Blogbeitrag einmal näher anschauen.
Merit Order – das Ursprungsproblem
Die Merit Order ist das wesentliche Instrument zur Bildung von Strompreisen auf dem Markt und setzt sich, wie bei vielen Produkten auch, aus dem Angebot und der Nachfrage zusammen. Die Funktion der Merit Order soll mithilfe der folgenden Abbildung erläutert werden. Hierbei bildet sich die Angebotskurve durch den vorhandenen Kraftwerkspark, der zur Produktion von Strom bereitsteht, anhand seiner Grenzkosten. Die Grenzkosten umfassen dabei die Brennstoffkosten sowie die Kosten notwendiger CO₂-Zertifikate.
Nach dieser Logik liegen die erneuerbaren Energien weiter links auf der Angebotskurve, da die Brennstoffkosten gleich null und keine Zertifikate erforderlich sind. Darauf folgt die Atomkraft, da die Kosten der Endlagerung in diesem Modell nicht betrachtet werden. Dann folgen die Braun- und Steinkohle und zum Schluss die Erdgas- und Erdölkraftwerke.
Treffen nun Angebot und Nachfrage (hier N1) aufeinander, bildet sich am Markt im Schnittpunkt der beiden Geraden ein Referenzpreis. Alle Kraftwerke, die sich auf der Angebotskurve vor dem Schnittpunkt befinden, produzieren indessen Energie und erhalten den Referenzpreis. Somit erhalten alle Kraftwerke den gleichen Preis!
Für Kraftwerke mit niedrigeren Referenzkosten bedeutet dies einen positiven Deckungsbeitrag. Da gerade die erneuerbaren Energien die geringsten Kosten aufweisen, haben diese die Möglichkeit, den höchsten Gewinn zu erwirtschaften, wenn ein hoher Marktpreis vorliegt. Bedingt durch die vorliegende Energieknappheit in Deutschland werden zum aktuellen Zeitpunkt alle Kraftwerkseinheiten mobilisiert, die zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit beitragen können. Die Inanspruchnahme von Kraftwerken mit besonders hohen Grenzkosten führt dazu, dass Betreiber mit niedrigen Grenzkosten deutlich höhere Gewinne erzielen, da diese Preise nicht mehr, wie in der Vergangenheit, zu einzelnen Stunden auftreten, sondern über einen längeren Zeitraum. Würde hingegen das Angebot an erneuerbaren Energien erweitert werden, würde sich die Nachfrage (N2) nach links auf der Angebotskurve verschieben und sich ein neuer Referenzpreis ausbilden, der den Strompreis sinken lässt. Somit tragen zum aktuellen Zeitpunkt die fossilen Energien zum Anstieg der Preise bei. Oder umgekehrt, es gibt zu wenig erneuerbare Energien am Markt.
Quelle: Wikipedia
Übergewinnsteuer
Durch die sich neu ergebende Marktlage und das Merit-Order-Modell haben Betreiber von Anlagen erneuerbarer Energien nun die Möglichkeit, gute Marktpreise und höhere Gewinne zu erzielen. Anders sähe dies vermutlich aus, wenn Kraftwerke einen individuellen Preis für die erzeugte Kilowattstunde erhalten würde, anstatt einen Referenzpreis auf Basis des noch teuersten, produzierenden Kraftwerks zugewiesen zu bekommen.
Nach dem Willen der Bundesregierung und des Entlastungspaketes soll der zusätzliche Gewinn für die Anlagenbetreiber eingezogen werden und zur Finanzierung des vergünstigten Grundbedarfs verwendet werden, um die Haushaltskunden zu entlasten. Wie genau die Übergewinnsteuer ausgestaltet ist, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesagt werden. Die Bundesregierung strebt zu diesem Zeitpunkt ein einheitliches, europäisches Vorgehen an. Sollte auf der europäischen Ebene keine Einigung erreicht werden, soll eine nationale Umsetzung erfolgen. Die Federführung liegt wie bei der Gasumlage beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Um kurzfristig Liquidität zur Finanzierung des vergünstigten Basisverbrauchs sicherzustellen, plant das Finanzministerium einen direkten Zugriff auf das EEG-Konto, das bereits mit 17 Milliarden im Plus liegt. Nach dem Willen des Ministeriums soll mindestens ein zweistelliger Milliardenbetrag entnommen werden. Hinzu kommt dann die skizzierte Übergewinnsteuer.
Mögliche Auswirkung auf den EE-Ausbau
Die Übergewinnsteuer, die auf den ersten Blick vielleicht nichts mit dem Ausbau von erneuerbaren Energien zu tun hat, könnte sich evtl. negativ auf den Ausbau der erneuerbaren Energien auswirken. Mit Ausnahme kleinerer Anlagen müssen Unternehmen eine Ausschreibung je Energieträger durchlaufen, bevor eine geförderte Anlage realisiert werden kann. Wie bei allen Kraftwerksarten kommt hinzu, egal ob erneuerbar oder konventionell, dass die Investition einen hohen Lebenszyklus aufweist und die wirtschaftliche Planung von vielen Unsicherheiten abhängt.
In der Vergangenheit war der Bau von erneuerbaren Energien nicht wirtschaftlich, da die Marktpreise zwischen 20 € und 120 € die Megawattstunde schwankten, weswegen das EEG den Betreibern finanziell unter die Arme greift. Bedingt durch die hohen Marktpreise sind diese Anlagen zum aktuellen Zeitpunkt ohne staatliche Subventionen wirtschaftlich. Allerdings kann niemand sagen, ob sich das Preisniveau über einen Zeitraum von 20 Jahren oberhalb des wirtschaftlichen Niveaus einpendelt.
Wer also heute eine neue erneuerbare Erzeugungsanlage projektieren will, hat mehrere Fragestellungen zu beantworten. Der Investor muss sich fragen, wie lange die Hochpreisphase an der Strombörse anhält und ob diese noch vorhanden ist, wenn die Anlage an das Netz geht. Dies sind bei einer Windkraftanlage im Schnitt 7 Jahre in Deutschland. Danach ist eine Abschätzung von mindestens weiteren 20 Jahren erforderlich, damit sich die Investitionssumme rechnet. Das Entlastungspaket schafft nun eine weitere Unsicherheit in Form der Übergewinnsteuer.
Dadurch, dass die erneuerbaren Energien besonders stark von hohen Strompreisen partizipieren, dürfte die Übergewinnsteuer diese am stärksten treffen. Investoren müssen sich also fragen, welche Auswirkungen die Steuer auf ihre Anlage haben wird. Hier könnte das größte Planungshemmnis sein, dass die Ausgestaltung zum aktuellen Zeitraum völlig unklar ist. Dies dürfte vermutlich auch länger so bleiben, da zuerst eine europäische Regelung angestrebt wird. Somit könnte der Fall eintreten, dass viele Investoren abwarten und zuerst die Ausgestaltung der Übergewinnsteuer einplanen. Die Folge wäre eine Verlangsamung des Ausbaus des Angebots, wodurch die Strompreise bedingt durch das Merit-Order-Modell weiter hoch bleiben werden.
Fazit
Dass eine Entlastung gerade sozial schwächerer Bürger im Bereich der Energie notwendig ist, dürfte vermutlich bei vielen unstrittig sein. Somit ist es richtig, dass die Bundesregierung ein neues Entlastungspaket auf den Weg gebracht hat. Allerdings sollten die Maßnahmen im Einzelnen kritisch betrachtet und diskutiert werden. Mit der Einführung eines Strompreisdeckels für den Basisverbrauch nimmt die Regierung, wie die FAZ es so schön sagte, einen Eingriff am offenen Herzen vor.
Der Vorgang, bestimmte Strompreise zu deckeln und eine Übergewinnsteuer einzuführen, dessen Ausgestaltung noch unklar ist, ist in Deutschland historisch einmalig. Die Auswirkungen auf den deutschen Energiemarkt sind somit schwer abzuschätzen.
Auch bleibt abzuwarten, ob die Maßnahmen am Ende wirken werden. Ebenso bleibt die Ausgestaltung in vielen Punkten unklar. Es bleibt spannend, bei welchen Schwellenwerten ein Basisverbrauch für Strom festgelegt wird. Ein deutscher Haushaltskunde benötigt im Schnitt 3.500 kWh (3-Personen) und laut Definition im EnWG maximal 10.000 kWh. Bedingt durch den Ausbau von Ladeinfrastruktur und Wärmepumpen kann dieser in der Praxis auch deutlich höher ausfallen. Um es außerdem sozial gerecht zu machen, müssten auch die Anzahl der Bewohner pro Haushalt berücksichtigt werden. Würde man nur eine Zahl festlegen, würden Singlehaushalte vermutlich profitieren und Energiesparmaßnahmen durch den geringeren Preis zurückfahren, während Familien weniger entlastet werden. Die operative Umsetzung könnte sich damit als hoch erweisen, wenn zwischen einzelnen Gruppen differenziert wird.
Daneben ist die Bundesregierung angehalten, möglichst schnell einen konkreten Entwurf für die Umsetzung der Übergewinnsteuer vorzulegen, um wenigstens für die Investoren Investitionssicherheit zu schaffen. Die Attraktivität, neue Anlage zu bauen und damit das Angebot zu erhöhen, dürfte für den Wirtschaftsstandort Deutschland vermutlich abnehmen. Die Erreichung der Ziele für 2030, die sich aus dem Koalitionsvertrag ergeben, dürfte auf jeden Fall noch sportlicher werden.
Vermutlich einer der größten Kritikpunkte im Entlastungspaket wäre, dass der Ausbau der Erzeugungskapazitäten, unabhängig von den jeweiligen Energieträgern, nicht thematisiert wird. Auch besteht die Gefahr, dass Energieversorger ihre Verluste durch gedeckelte Strompreise privater Haushalte auf die Industrie umlegen. Schon jetzt sind am Markt Schließungen von Stahlwerken in Deutschland zu beobachten, obwohl deren Rohstoff zur Errichtung regenerativen Erzeugungsanlagen benötigt werden. Die Bundesregierung sollte daher darauf Acht geben, dass die Operation am offenen Herzen des Strommarktdesigns nicht damit endet, dass uns wesentliche Industriezweige verloren gehen, die wir für die Umsetzung der Energiewende benötigen.
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