Die Dekarbonisierung des Gas- und Wärmesektors bis 2045 ist eine der größten Herausforderungen für die Energiewirtschaft in Deutschland. Zur Erreichung der nationalen Klimaziele peilt der Gesetzgeber an, dass ab 2045 ausschließlich grüne Gase durch die deutschen Netze fließen sollen. Als neuer Gamechanger steht hier der Energieträger Wasserstoff besonders im Fokus der Öffentlichkeit. Dieser soll Erdgas zukünftig ersetzen.
Der Wechsel von Erdgas auf Wasserstoff ist jedoch kein Schalter, der einfach über Nacht umgelegt werden kann. Vielmehr sind die Gasnetzbetreiber gefragt, ihre Netze wasserstofftauglich zu machen. Zwar ist schon heute eine Wasserstoff-Beimischung von bis zu 10 Vol.-% technisch möglich und soll demnächst auf 20 Vol-% angehoben werden, jedoch sind die Netze aktuell nicht in der Lage reinen Wasserstoff zu transportieren, da sich die physikalischen Eigenschaften und Verhaltensweisen dessen im Vergleich zum konventionellen Erdgas unterscheiden. Was es für eine flächendeckende Wasserstoffinfrastruktur bedarf, ist u. a. eine Marktraumumstellung von Erdgas auf Wasserstoff.
Eine Marktraumumstellung wird auch heute noch in Form der Umstellung von L(ow)-Gasnetzen auf H(igh)-Gasnetzen durchgeführt. Die Umstellung läuft noch bis 2029 in Deutschland (Schwerpunkt Westdeutschland). Hintergrund ist die sinkende Verfügbarkeit von L-Gas, vor allem durch die Förderreduktion der Niederlande. In diesem Zusammenhang bedeutet die Marktraumstellung einen Wechsel von L- auf H-Gas innerhalb der gleichen Gasfamilie, wobei das H-Gas einen höheren Methananteil und somit höheren Energiegehalt gegenüber dem L-Gas aufweist. Durch die Änderung der Gasbeschaffenheit ist im Rahmen der Marktraumumstellung eine Anpassung der Gasgeräte innerhalb des umzustellenden Verteilnetzes erforderlich.
Da direkt im Anschluss die nächste Marktraumumstellung mit dem Energieträger Wasserstoff ansteht, haben sich die Fernleitungsnetzbetreiber in Deutschland bereits erste Gedanken dazu gemacht, welche Analogien aus der aktuellen Marktraumumstellung für die Marktraumumstellung auf Wasserstoff gezogen werden können und welches Wissen aus vergangenen Projekten übertragbar ist. Das Ganze ist neben weiteren Wasserstoffthemen detailliert im Wasserstoffbericht vom 10. September 2022 aufgeführt. In unserem Blogbeitrag werfen wir einen Blick auf die Schlüsse, die Fernleitungsnetzbetreiber zu diesem Thema gezogen haben.
Grundsätzliche Bedeutung beim Wechsel der Gasfamilie
Bei einem Wechsel von dem Energieträger Erdgas auf den Energieträger Wasserstoff würde es zu einem Wechsel der Gasfamilie kommen, wodurch eine neue Marktraumumstellung für ganz Deutschland erforderlich wäre, wenn reiner Wasserstoff durch das Erdgasnetz transportiert werden soll.
Dies bedingt eine gute Abstimmung zwischen den Netzbetreibern und Anschlussnehmern bei der Umstellung zu einem vereinbarten Stichtag, so dass die bewährten Schritte zur Durchführung einer Marktraumumstellung nach G680 vermutlich übernommen werden können: Ankündigung, Erhebung, Umstellung und Qualitätssicherung. Grundvoraussetzung ist, dass alle Geräte nach Umstellung auf den Energieträger Wasserstoff auch wasserstofftauglich sind. Dies bedeutet, dass bereits im Vorhinein eine Analyse erfolgt sein muss, welche Geräte umzurüsten sind. Bei der L-/H-Gasumstellung war dies recht einfach, da bei 95 % aller Geräte kein Austausch erforderlich war.
Der Anteil dürfte bei Wasserstoff jedoch deutlich darüber liegen, da sich die chemische Zusammensetzung von Wasserstoff deutlich von Erdgas unterscheidet. Dazu zählt zum einen der deutlich geringere Energiegehalt, aber auch andere Verbrennungseigenschaften. „Bei der Bewertung dieses Aspektes muss jedoch auch der Aufwand möglicher Alternativen, z. B. ein Wechsel des Energieträgers, einschließlich des Installationsaufwands und der Kosten für eine Umstellung auf eine andere Heiztechnik berücksichtigt werden.“ [FNB-Wasserstoffbericht].
Maßgeblich für die Zeitdauer der Umstellung dürfte sein, wie hoch der Aufwand der technischen Anpassung ist und wie viel qualifiziertes Personal zur Verfügung steht. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass weniger Geräte als bei einer L-/ H-Gas-Umstellung pro Schaltung umgestellt werden können, da die Umschaltung schneller erfolgen muss. In vergangenen Projekten konnten noch 10.000 Geräte pro Schaltung erreicht werden. Die Anzahl dürfte bei Wasserstoff darunter liegen und auch der Zeitbedarf dürfte somit wesentlich größer sein, da eine Marktraumumstellung auch jetzt schon mehrere Monate benötigt. Zudem dürfte die Anzahl der Umstellungszonen merklich steigen.
Auch ist damit zu rechnen, dass Umstellungsfahrpläne zwischen den Fernleitungsnetzbetreibern (FNBs) und Verteilnetzbetreibern (VNBs) eine deutlich längere Vorlaufzeit benötigen, wenn der VNB einen Bedarf anmeldet. Aktuell liegt in der Kooperationsvereinbarung Gas die Vorlauffrist bei 2 Jahren und 8 Monaten. Die größte Effizienz kann dann gehoben werden, wenn mehrere VNBs entlang einer Versorgungsstrecke des FNB gemeinsam einen Bedarf anmelden und sich die VNBs in Arbeitsgruppen organisieren können. Das Vorgehen wurde auch bei der L-/H-Gas-Umstellung angewandt. Im Ausnahmefall kann der FNB durch ein Veranlassungsrecht den VNB auch dazu zwingen, auf Wasserstoff umzustellen (§ 19a EnWG).
Exkurs: Rechtslage
Ohne allzu tief in die gesetzliche Regelung in die Marktraumumstellung einsteigen zu wollen, sind für den Umgang mit der aktuellen Marktraumumstellung ein Gesetz und eine technische Richtlinie des DVGW relevant, die auch für die Marktraumumstellung Wasserstoff (mit ein paar Anpassungen) genutzt werden kann. Die gesetzliche Grundlage für die aktuelle Marktraumumstellung ist in § 19a EnWG geregelt. Hier sind die gesetzlichen Anforderungen und Umsetzungsfristen für die Umstellung zu finden. Spezifische Hilfestellung vom DVGW ist in G680 Erhebung, Umstellung und Anpassung von Gasgeräten zu finden.
Schritte der H2-Marktraumumstellung
Der höhere Aufwand in Kombination mit der mangelnden Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal bedingt eine deutlich höhere Vorlaufzeit für das umzustellende Marktgebiet. Im Rahmen der L-/H-Gas-Umstellung erfolgt die Ankündigung (Schritt 1: G680) gemäß § 19a EnWG zwei Jahre vorher. Die längeren Ankündigungsfristen können sich hingegen wieder auf die Netzplanungsprozesse auswirken, welche auch zwischen dem FNB und VNB abzustimmen sind, um eine spätere Marktraumumstellung zu ermöglichen.
Zur Umsetzung der Marktraumumstellungen empfehlen die FNBs im Wasserstoffbericht vier durchzuführende Schritte, die erforderlich sind:
- Erhebung der häuslichen, gewerblichen und industriellen Gasgeräte plus Prüfung der Wasserstofftauglichkeit
- Trennung vom Netz und Umstellung der Endgeräte auf den neuen Energieträger
- Wiederinbetriebnahme von Netz und Endgeräten mit dem neuen Energieträger
- stichprobenartige und unabhängige Qualitätssicherung
Die vier Schritte gelten allerdings nur für den Betrieb von reinen Wasserstoffnetzen und nicht für Erdgasnetze, welchen Wasserstoff nach den Richtlinien des DVGW beigemischt wird. Hier gilt aktuell ein Schwellwert von maximal 10 Vol-% (demnächst 20 Vol-%) Wasserstoff zu Methan im Erdgasnetz. In diesem Fall ist keine Anpassung der Geräte erforderlich, wobei eine stichprobenartige Überprüfung anzuraten wäre.
Grundsätzlich können für die Durchführung der Marktraumumstellung die Strukturen aus vergangenen Projekten übernommen werden. Hierzu gehören u. a.:
- Der Aufbau einer Projektstruktur und -organisation (Projektphasen, Teilprojekte)
- Entwicklung eines Kommunikationskonzepts
- Abstimmung mit vorgelagerten Netzbetreibern
- Ermittlung von Umstellbezirken
- Auswahl von Dienstleistern
Bereiche der H2-Marktraumumstellung
Bei der Umsetzung der Marktraumumstellung Wasserstoff ist nach Ansicht der FNBs zwischen zwei verschiedenen Ebenen zu differenzieren: der Umstellung der Gasnetze und der Umstellung der Gasinstallation.
Umstellung des Gasnetzes
Die Umstellung der Erdgasnetze auf Wasserstoff müsste vor allem durch einen gemeinsamen Gasnetztransformationsplan erfolgen, der sowohl die Entwicklung des Energieträgers Erdgas als auch Wasserstoff berücksichtigt, wodurch die Reihenfolge der Gebiete zur Marktraumumstellung Wasserstoff planbar wären, wie es auch für L- auf H-Gas der Fall war.
Punkte, die u. a. bei der Umstellung des Erdgasnetzes zu berücksichtigen sind, wären z. B. die Auswirkungen auf die verbauten Materialien, Werkstoffe, Funktionalitäten von Bauteilen, die Kapazitäten und Leistungsfähigkeit sowie strömungsmechanische Aspekte.
Die Initiative H2vorOrt entwickelt dazu derzeit einen Standardleitfaden, wie ein koordinierter und standardisierter Planungsprozess erfolgen kann. Das Ergebnis soll ein einheitlicher Transformationspfad für alle Gasnetzbetreiber hin zum Energieträger Wasserstoff sein. Dabei soll der Planungsprozess nicht nur eine sofortige Umstellung von Erdgas auf reinen Wasserstoff beinhalten, sondern auch Wege zur stetigen höheren Beimischung von Wasserstoff. Eine erste Grundlage soll bis spätestens 2025 stehen. Ausführliche Informationen hierzu wurden im DVGW Rundschreiben DVGW G 02/2022 versendet. Den Transformationspfad hin zu grünen Gasnetzen stellen die FNBs in der folgenden Grafik beispielhaft dar:
Vor der Umstellung des Gasnetzes hat jedoch jeder Gasnetzbetreiber für sich eine Einspeiseanalyse, Kapazitätsanalyse, Kundenanalyse und technische Analyse durchzuführen. Auf Basis der Analysen muss jeder Netzbetreiber für sich entscheiden, wo Übergabepunkte zu vor- und nachgelagerten Netzen und wo dezentrale Einspeisepunkte erforderlich sind sowie welche Kunden primär angeschlossen werden unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit.
Umstellung der Gasinstallationen (Gasgeräte und -anwendungen)
Für die Umsetzung einer erfolgreichen Marktraumumstellung Wasserstoff bedarf es nicht nur einer Anpassung der Netze, sondern auch der Gasinstallationen. Hierzu gehören u. a. die Gasgeräte und Betrachtung der Gasanwendungen.
Hierfür ist der Aufbau einer Datenbank von Geräteherstellern hinsichtlich der Wasserstofftauglichkeit sowie geeignete Materialien beinhaltet. Der DVGW ist hierbei federführend tätig.
Zu berücksichtigen sind die neuen Anforderungen für Heizungsanlagen ab 2024, wonach der EE-Anteil von neuen Heizungsanlagen bei mind. 65 % liegen muss. Hierbei können auch grüne Gase angerechnet werden. Die Gasinstallation ist jedoch darin zu ertüchtigen sowohl mit Gasgemischen als auch 100 % prozentigen grünen Gasen wie Wasserstoff umgehen zu können. Dies umfasst nicht nur das Gasgerät, sondern auch weitere Komponenten wie die eingesetzten Gaszähler oder Gasströmungswächter.
Umwidmung der Leitung
Damit aus einer Erdgasleitung eine Wasserstoffleitung wird, ist diese durch die BNetzA in Form eines Genehmigungsverfahrens umzuwidmen (§ 28p EnWG). Hierbei prüft die BNetzA die Bedarfsgerechtigkeit. Grundlage könnten hierfür die Netzentwicklungspläne sein. Um den Zeitbedarf bis zur Umstellung zu reduzieren, bietet es sich an, möglichst parallel zum Abstimmungsprozess zwischen dem FNB und VNB die Bestätigung der BNetzA einzuholen, da dies die Marktraumumstellung in die Länge treibt.
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