Der Winter wird spannend: Neues EU-Liberalisierungspaket für die Energiewirtschaft

22. August 2018

Klappe die Vierte: das EU-Winterpaket steht vor der Tür

„Ach ja, früher war das Leben für Energieversorger noch einfach. Da galt noch das „Preis-mal-Menge-Prinzip“ und Wettbewerb spielte keine Rolle.“ Ein Satz, der heute noch scherzhaft in der Energieversorgungsbranche fällt. Doch spätestens seitdem die Europäische Union mit der Liberalisierung des Energiemarktes begonnen hat, ist die Branche gezwungen, sich auf neue Marktbedingungen und Regeln einzustellen. Unbundling ist oft ein Stichwort, das mit den ersten drei Liberalisierungspaketen genannt wird. Hier ging es darum, die einzelnen Marktrollen in der Energiewirtschaft stärker zu entflechten, um Wettbewerb entstehen zu lassen.

Branchenkenner erinnern sich noch genau an die drei großen Energiepakete und deren Auswirkungen und es ist noch nicht vorbei! Die nächsten Änderungen stehen bereits an und sollen als EU-Winterpaket zum 01.01.2020 Inkrafttreten.

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Neue EU-Richtlinien und Verordnungen

Doch woraus besteht das EU-Winterpaket eigentlich? Das EU-Winterpaket umfasst eine Vielzahl von Richtlinien und Verordnungen. Hier wäre u. a. die Governance- Verordnung zu nennen, die als eine Art Anleitung für die Berechnung von Klimazielen bezeichnet werden kann. Sie dient als Grundlage bei der Ermittlung zukünftiger Klimaziele für die einzelnen Mitgliedsstaaten, welche daraus ihre Ziele ableiten müssen.

Darüber hinaus bilden die Binnenmarktverordnung und die Binnenmarktrichtlinie zwei weitere Pfeiler des Winterpakets. Hierbei werden unterschiedlichste Themen im Stromsektor behandelt. Ein Beispiel wäre u. a. die Flexibilisierung von Netzentgelten oder die Stärkung der Rechte von Letztverbauchern. Auch über eine CO2-Grenze für Kraftwerke zur Teilnahme an Kapazitätsmechanismen wie z. B. den Regelenergiemarkt wird derzeit nachgedacht.

Bereits beschlossen wurde die Energieeffizienzrichtlinie für den Gebäudesektor, die sich mit der Energieeinsparung in Gebäuden beschäftigt und auch mit dem Querschnittsthema Elektromobilität. Demnach ist bei neuen Nichtwohngebäuden, die über mehr als 10 Parkplätze verfügen, jeder zehnte Parkplatz mit einem Ladepunkt für Elektrofahrzeuge zu versehen.

Genauso gibt es weitere Richtlinien und Verordnungen, welche sich mit den Bereichen Erneuerbare Energien, Energieeffizienz, der Gründung einer Agentur zur Zusammenarbeit mit der ACER oder auch der Krisenvorsorge im Sektor Strom beschäftigen.

Aufbau des EU-Winterpakets:

  • Novelle der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie
  • Novelle der Energieeffizienz-Richtlinie
  • Weiterentwicklung der Gebäuderichtlinie
  • Entwurf einer Verordnung zur Governance der Energieunion
  • Novelle der Strommarkt-Richtlinie
  • Strommarkt-Verordnung, die die bestehende Verordnung über Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel ablösen soll
  • Novelle der Verordnung zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER)
  • Entwurf einer Verordnung zur Krisenvorsorge im Stromsektor

Die vierte Staffel der Liberalisierung und ihre Gründe

Ziel der neuen Gesetzesänderungen soll es sein, die Umsetzung der Energieunion zu beschleunigen und das Klimaziel für 2030 zu erreichen. Hierbei versucht die Europäische Union die fünf Dimensionen des europäischen Energiemarktes zu stärken, welche aus den Punkten Versorgungssicherheit, der vollständigen Integration des EU-Binnenmarktes, der Emissionsreduktion sowie der Sicherstellung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit besteht.

Die Motivation für das EU-Winterpaket ist jedoch nicht nur in den langfristig orientierten Dimensionen der Energiepolitik zu sehen, es liegen auch pragmatische Beweggründe vor. Dabei geht es u. a. darum, eine Führungsrolle im Bereich der Erneuerbaren Energien einzunehmen und die Erzeugungsstruktur nachhaltig zu ändern, um die Abhängigkeit von Exporten zu senken. Genauso sollen Themen wie Digitalisierung des Energiemarktes oder die Stärkung der Endverbraucherrechte weiter vorangetrieben werden, da sie für eine erfolgreiche Energiewende unerlässlich sind. Ebenso die Sicherstellung von stabilen Energiepreisen.

 

Das EU-Winterpaket enthält eine Vielzahl von Änderungen, die nicht alle in diesem Artikel genannt werden können und die sich größtenteils auch noch in der Evaluierung befinden. Es soll aber in Zukunft dem Verteilnetzbetreiber (VNB) unter gewissen Bedingungen erlaubt sein, selbst oder Ladesäulen zu betreiben. Voraussetzung ist in beiden Fällen eine öffentliche Ausschreibung für das jeweilige Netzgebiet. Findet sich kein Akteur, welcher die Aufgabe übernehmen will, darf der VNB diese Rolle mit Genehmigung der BNetzA für einen begrenzten Zeitraum von fünf Jahren übernehmen. Speicheranlagen dürfen dabei lediglich zur Netzstabilisierung verwendet werden. Es besteht ein striktes Vermarktungsverbot. Nach Ablauf der Frist von fünf Jahren hat eine erneute Ausschreibung zu erfolgen, bei dem ein dritter Akteur die Aufgabe übernehmen kann.

Der Zeitplan

Viele Aspekte des EU-Winterpakets befinden sich noch in der Evaluation und werden im informellen Trilogverfahren behandelt. Einzelne Gesetzesänderungen, wie die Energieeffizienzrichtlinie für Gebäude, sind bereits beschlossen. Bis Ende 2018 soll das gesamt Paket verabschiedet werden, so dass die neuen Regelungen vor Beginn der Parlamentswahlen im Mai 2019 fertig sind. Ein Inkrafttreten des Gesetzespaketes soll zum 01.01.2020 erfolgen.

 

Wir dürfen also gespannt sein, was sich noch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ändern wird. Sicher ist nur, das Gesetzespaket wird kommen!
Was ist eure Meinung zum neuen Liberalisierungspaket für den europäischen Energiemarkt? Diskutiert mit uns!

Marcel Linnemann
Innovationsmanager Energiewirtschaft | items GmbH

 

 

 

Marcel Linnemann

Leitung Innovation & Grundsatzfragen Energiewirtschaft
Marcel Linnemann, Wirt. Ing. Energiewirtschaft, Netzingenieur, ist Leiter Innovation und regulatorische Grundsatzfragen bei items und Autor diverser Fachbücher und -artikel rund um die Thematiken der Energiewirtschaft und der Transformation