Dynamische Tarife sind im Energievertrieb längst nichts Neues mehr. Oft sind die Tarife aus der Vergangenheit als HT-NT-Tarife bekannt, aber zunehmend tummeln sich Anbieter am Markt, die mit neuen Energieprodukten durch einen flexibilisierten Stromtarif Preissignale an ihre Kunden senden. Doch schaut man in die klassische, etablierte Versorgerlandschaft findet man dynamische Tarife noch selten. Ein möglicher Grund könnte das lange Warten auf das intelligente Messsystem (iMsys) sein, das ein wesentlicher Baustein für die Einführung dynamischer Tarife ist. Durch die langen Verzögerungen und das mehrjährige Warten auf zugelassene, zertifizierte iMsys hat das Thema dynamische Tarife nie einen Entwicklungsschub erfahren und das, obwohl das Thema bereits seit 2016 mit dem Beschluss des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) rechtlich legitimiert ist.
Die bislang doch recht unpopuläre und wenig erfolgreiche Einführung dynamischer Tarife (wahrscheinlich auch bedingt durch die fehlende Kenntnis der Stromkunden von dynamischen Tarifen) hat dazu geführt, dass sich der Gesetzgeber der Thematik im Zuge der EnWG-Novelle im vergangenen Sommer erneut gewidmet hat, mit der Folge, dass Energievertriebe ab einer gewissen Größe verpflichtet werden, ihren Kunden dynamische Tarife anzubieten. Da die gesetzliche Umsetzungsfrist für erste Lieferanten seit dem 1. Januar 2022 ansteht, wollen wir in diesem Blogbeitrag einen Blick auf die gesetzlichen Regelungen und eine mögliche Ausgestaltung dynamischer Tarife werfen.
Dynamische Tarife: Was versteht das EnWG darunter?
Bevor wir uns der Frage widmen, wie die konkrete Ausgestaltung dynamischer Tarife im Zuge der EnWG-Novelle aussieht, wollen wir zunächst die Frage beantworten, worum es sich eigentlich bei dynamischen Tarifen handelt. Auf den ersten Blick sind die Begriffsdefinitionen für dynamische Tarife nämlich vielfältig. So verstehen die einen – wie bereits erwähnt – unter einem dynamischen Tarif einen klassischen HT-NT-Tarif, bei dem Kunden zwei verschiedene Preise für Tag- und Nachtstrom angeboten werden. Gerade in den vergangenen Jahrzehnten waren diese Modelle mit der Einführung von Nachtspeicherheizungen äußerst populär. Diese sind aber in den letzten Jahren zunehmend wieder vom Markt verschwunden und meist nur noch in älteren, nicht sanierten Objekten vorzufinden.
Andere verstehen unter einem dynamischen Tarif hingegen einen Tarif, der über mehr Tarife bzw. Preise pro Tag als zwei, einen Tag- und einen Nachtstrompreis, verfügt. Eine noch engere Definition sieht bei dynamischen Tarifen das Erfordernis von Preissignalen von der Börse vor, die sich auf den Strompreis auswirken.
Doch was versteht nun das EnWG unter einem dynamischen Tarif? Antwort finden wir hier im § 3 des EnWG. Demnach ist ein dynamischer Tarif ein „Stromliefervertrag mit einem Letztverbraucher, in dem die Preisschwankungen auf den Spotmärkten, einschließlich der Day-Ahead- und Intraday-Märkte, in Intervallen widergespiegelt werden, die mindestens den Abrechnungsintervallen des jeweiligen Marktes (Day-Ahead; 1 h; Spot-Markt: 15 min) entsprechen.“
Somit ist klar, dass das bloße Abbilden von Tages- und Nachtpreisen nicht ausreicht. Ein dynamischer Tarif muss auf Preissignale der oben genannten Marktplätze reagieren. Allerdings zeigt der Bezug auf das Wort Stromliefervertrag auch, dass der Fokus dynamischer Tarife ausschließlich auf der Sparte Strom und nicht auf der Sparte Gas liegt. Ein dynamischer Tarif kann somit nicht im Sektor Gas angeboten werden, wobei wir nun im folgenden Abschnitt einen Blick auf die genauen gesetzlichen Regelungen werfen.
Dynamische Tarife: Wie sieht die verpflichtende Roadmap des EnWG aus?
Die verpflichtende Einführung von dynamischen Tarifen ist wie bereits erwähnt im Zuge der EnWG-Novelle im Sommer 2021 geregelt worden, die Details sind in § 41 a) EnWG zu finden. Ab wann ein Lieferant einen dynamischen Tarif einführen muss, hängt von der Anzahl der zu versorgenden Kunden ab. Demnach hat jeder Versorger, der am 31.12.2021 mehr als 200.000 Kunden mit elektrischer Energie versorgt hat, seit dem 1. Januar 2022 seinen Kunden dynamische Tarife anzubieten. Ab dem 1. Januar 2023 gilt dies auch für alle Lieferanten mit mehr als 100.000 Kunden und ab 2026 für alle Lieferanten mit mehr als 50.000 Kunden. Somit ist ab 2026 die Mehrheit aller Lieferanten verpflichtet, ihren Kunden dynamische Tarife anzubieten. Für einen dynamischen Tarif ist hier die bereits erwähnte Definition nach § 3 EnWG anzuwenden, wonach ein dynamischer Tarif Preisschwankungen an der Börse widerspiegeln muss.
Dynamische Tarife: Welche Voraussetzungen sind zur Einführung zu schaffen?
Damit ein Lieferant dynamische Tarife einführen kann, sind vorab einige Anforderungen zu erfüllen und notwendige Fragen zu klären. Grundvoraussetzungen sind hier mit der MaKo 2022 zu schaffen. Damit ein Kunde einen dynamischen Tarif erhalten kann, benötigt dieser zwingend ein iMsys. Der Lastgang des Kunden ist hierfür entsprechend zu zerlegen und mit unterschiedlichen Preiszeitreihen zu multiplizieren. Grundvoraussetzung ist ein Zeitstempel der Messreihe, die später für die Abrechnung benötigt wird. Hierfür sind die notwendigen Prozesse Zählzeitdefinition der MaKo 2022 erforderlich. Diese stehen ab dem 1. April 2022 zur Verfügung. Aus technischer Sicht ist es somit nicht vor dem 1. April 2022 möglich, einen dynamischen Tarif anzubieten.
Im Abrechnungssystem selbst wird die Messreihe dann in verschiedene Zeitscheiben zerlegt und mit einem Preis je Zeitscheibe multipliziert. Hierbei besteht die Herausforderung, dass sich der Lieferant Gedanken über die Berechnung der jeweiligen Preise machen muss, damit sich die Preissignale der Börse im Tarif widerspiegeln. Nach Berechnung der jeweiligen Mengen und Preise erfolgt die Bereitstellung der Informationen an den Kunden. Dies kann entweder in Form einer schriftlichen bzw. elektronischen Rechnung oder durch Bereitstellung der Information im Kundenportal erfolgen.
Was sagen Stadtwerke und Endkunden?
Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen sind aufgrund der sehr hohen Strompreise denkbar ungünstig für die Einführung dynamischer Tarife. Derzeit werden die wenigsten Kunden freiwillig ihren (günstigen) bestehenden Stromvertrag verlassen, um einen volatilen und ggf. teureren dynamischen Tarif zu bekommen. Erst wenn sich die Situation an der Strombörse wieder normalisiert oder die Bestandsverträge (inkl. Grundversorgung) auf ein neues höheres Niveau gehoben sind, könnten sich dynamische Tarife zukünftig für Kunden lohnen. Zudem sind Endkunden seit Jahren gewohnt, über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr Preisstabilität von ihrem Lieferanten garantiert zu bekommen. In welchem Umfang Kunden diese neue Möglichkeit der Tarifierung tatsächlich in Anspruch nehmen werden bleibt abzuwarten.
smartOPTIMO hat sich mit verschiedenen Stadtwerken, die entweder zum 1.1.2022 oder 1.1.2023 die Anforderungen des EnWG umsetzen müssen, zum Thema dynamische Tarife ausgetauscht. Ergebnis: Trotz einer gesetzlichen Verpflichtung wird kein Stadtwerk zeitnah dynamische Tarife anbieten. Die Stadtwerke sind sich einig, dass die Nachfrage nach dynamischen Tarifen, insbesondere bei der aktuellen Preisentwicklung, sehr gering ist. Vor allem auch bei der Stadtwerke-typischen Kundenstruktur.
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Fazit
Das Thema dynamische Tarife wird auf Basis der gesetzlichen Grundlage wegen des niedrigen Schwellenwertes von 50.000 Stromkunden in den nächsten Jahren eine Vielzahl von Versorgern treffen. Da für einige Versorger bereits seit dem 1. Januar 2022 die Pflicht besteht, dynamische Tarife anzubieten, sollte rechtzeitig mit der Konzeption und Realisierung begonnen werden.
Ausgangsbasis für die Einführung eines dynamischen Tarifs stellt das iMsys dar, das um ein weiteres Funktionsfeature in Form eines neuen Tarifs ergänzt wird. Nach der Einführung der notwendigen Prozesse der MaKo 2022 am 1. April 2022, dem Einsatz der neusten iMsys-Generation und der Klärung, wie der dynamische Tarif im IT-System abgebildet werden soll, kann ein Lieferant mit dem Angebot dynamischer Tarife in seinem Produktportfolio starten. Unter bestimmten Voraussetzungen könnte das Modell auch für Kunden zukünftig wirtschaftlich interessant werden.
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Anmerkung: Durch die Verschiebung der MaKo 2022 vom 1. April auf den 1. Oktober verzögern sich somit auch die technisch notwendigen Anpassungen für die Einführung der dynamischen Tarife.