Wie sehen die neuen Vorschriften für grünen Wasserstoff aus?

21. Februar 2023

Hintergrund zu den delegierten Rechtsakten

Mitte Februar hat die Europäische Kommission gemäß den Vorgaben der Erneuerbare-Energien-Richtlinie zwei Rechtsakte erlassen, welche sich mit der Herstellung von grünen Gasen im Verkehrssektor beschäftigen sowie mit der Bilanzierung der Treibhausgasmengen bei der Herstellung von erneuerbaren Kraftstoffen nicht biogenen Ursprungs (RFNBOs). Die beiden Rechtsakte sind auch für Deutschland maßgeblich, unter welchen Bedingungen Kraftstoffe als erneuerbar gelten.

Der erste delegierte Rechtsakt legt fest, unter welchen Bedingungen Wasserstoff, wasserstoffbasierte Kraftstoffe oder andere Energieträger als RFNBO betrachtet werden können. Das Gesetz präzisiert den Grundsatz der “Zusätzlichkeit” für Wasserstoff, der in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU verankert ist. Elektrolyseure zur Erzeugung von Wasserstoff müssen an neue erneuerbare Stromerzeugung angeschlossen werden. Mit diesem Grundsatz soll sichergestellt werden, dass die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff Anreize für eine Erhöhung des Volumens erneuerbarer Energie schafft, das im Netz verfügbar ist, verglichen mit dem, was bereits vorhanden ist. Auf diese Weise wird die Wasserstoffproduktion die Dekarbonisierung unterstützen und die Elektrifizierungsbemühungen ergänzen, während gleichzeitig Druck auf die Stromerzeugung vermieden werden soll.

Der zweite delegierte Rechtsakt enthält eine Methode zur Berechnung der Lebenszyklustreibhausgasemissionen für RFNBO. Die Methode berücksichtigt Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus der Brennstoffe, einschließlich vorgelagerter Emissionen, Emissionen im Zusammenhang mit der Entnahme von Strom aus dem Netz, aus der Verarbeitung und solchen, die mit dem Transport dieser Kraftstoffe zum Endverbraucher verbunden sind. Die Methodik klärt auch, wie die Treibhausgasemissionen von erneuerbarem Wasserstoff oder seinen Derivaten berechnet werden können, wenn er in einer Anlage zur Herstellung fossiler Brennstoffe koproduziert wird.

In unserem Blogbeitrag wollen wir uns einmal die Regelungen des ersten Rechtsaktes zur Erzeugung von erneuerbaren Kraftstoffen näher anschauen, um zu verstehen, wie und in welchen Umfang erneuerbarer Kraftstoff mithilfe von Strom aus EE-Anlagen hergestellt werden kann.

Herstellung von erneuerbarem Kraftstoff über eine direkt angeschlossene Erzeugungsanlage

Der erste delegierte Rechtsakt präzisiert zwei Möglichkeiten, wie erneuerbare, strombasierte Kraftstoffe erzeugt werden können. Möglichkeit 1 ist der Bezug von elektrischer Energie aus dem öffentlichen Stromnetz unter bestimmten regulatorischen Auflagen. Die andere Möglichkeit ist die direkte Produktion der Kraftstoffe vor Ort über den gleichen Anschluss. Die EE-Stromerzeugungsanlage und die Produktionsanlage für erneuerbare Kraftstoffe stehen somit in räumlicher Nähe und verfügen über eine direkte Leitung, ohne dass das öffentliche Stromnetz der allgemeinen Versorgung genutzt werden muss. 

Hierfür muss der Betreiber nach Artikel 3 einen Nachweis erbringen, dass die Elektrolyseanlage und die EE-Stromerzeugungsanlage über einen direkten Anschluss verfügen. Außerdem darf die EE-Stromerzeugungsanlage maximal 36 Monate vor der Produktionsanlage für erneuerbare Kraftstoffe installiert worden sein. Die EE-Stromerzeugungsanlage darf nicht an das allgemeine Versorgungsnetz angeschlossen sein oder, mithilfe des Messkonzeptes ist nachzuweisen, dass keine Einspeisung in das öffentliche Stromnetz erfolgt, wenn die Produktionsanlage den Kraftstoff produziert.

Herstellung von Kraftstoff mit bezogenem Strom aus dem Netz der allgemeinen Versorgung

Nicht immer besteht die Möglichkeit, dass der Strom direkt vor Ort neben der Produktionsanlage für erneuerbare Kraftstoffe produziert werden kann. In diesem Fall muss die Produktionsanlage Strom aus dem öffentlichen Stromnetz beziehen. Damit dieser Strom als erneuerbar gilt und damit der produzierte Kraftstoff, hat der Betreiber der Produktionsanlage zwei Möglichkeiten.

Möglichkeit 1 setzt voraus, dass der EE-Anteil in der Gebotszone, in der sich die Produktionsanlage befindet, einen Anteil regenerativer Energien am Strommix von über 90 % beträgt. In diesem Fall gilt der Strom grundsätzlich ohne Nachweisverpflichtungen als erneuerbar und somit auch der produzierte Kraftstoff. Wird der Schwellwert erstmalig von 90 % EE-Anteil am Strommix in der Gebotszone überschritten, wird pauschal für die nächsten 5 Jahre vorausgesetzt, dass der Wert immer über 90 % liegt.

Daneben ist das Kriterium der Zusätzlichkeit zu beachten, welches vorsieht, dass die Produktionsanlage für erneuerbare Kraftstoffe den Strom dann zu nutzen hat, wenn die EE-Stromerzeugungsanlage diese auch produziert. Es ist ein maximaler zeitlicher Unterschied von 1h erlaubt (Es existieren bestimmte Ausnahmen und Übergangsfristen, auf die noch eingegangen wird). Außerdem darf eine maximale Stundenzahl überschritten werden. Diese wird berechnet, indem die Gesamtstundenzahl in jedem Kalenderjahr mit dem Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen multipliziert wird.

Die Möglichkeit 2 findet hingegen dann Anwendung, wenn der Gesamtstrommix in der Gebotszone noch nicht den Schwellwert von 90 % überschritten hat. In diesem Fall ist die Emissionsintensität in der jeweiligen Gebotszone zu beachten. Diese darf nach Artikel 4 bei Strom bei maximal 18 gCO2eq/MJ liegen. Wird der Wert erstmalig erreicht, wird pauschal angenommen, dass der Grenzwert für die nächsten 5 Jahre eingehalten wird. Daneben sind folgende Kriterien aus Sicht des Betreibers der Produktionsanlage zu beachten:

  • Die Berechnung der Emissionsintensität erfolgt auf Basis des zweiten delegierten Rechtsaktes zur Berechnung der Treibhausgasemissionseinsparungen aus flüssigen und gasförmigen erneuerbaren Kraftstoffen nicht biologischen Ursprungs und aus recycelten Kohlenstoffkraftstoffen bestimmt der gemäß Artikel 28 Absatz 5 der Richtlinie (EU) 2018/2001
  • Der Betreiber der Produktionsanlage muss einen oder mehrere Stromlieferverträge mit Anlagen geschlossen haben, welche erneuerbaren Strom produzieren

Sollte die EE-Stromerzeugungsanlage aufgrund einer Anweisung des Netzbetreibers abgeriegelt werden (bspw. Redispatchmaßnahme), darf der Betreiber der Produktionsanlage auch Graustrom verwenden. In diesem Fall gilt sein Kraftstoff weiterhin als erneuerbar.

Unabhängig von den beiden Herstellungsmöglichkeiten haben die Betreiber (gewisse Ausnahmen ausgeklammert) bestimmte, weitere Kriterien zu erfüllen. Hierzu gehören primär die Kriterien der Zusätzlichkeit, des zeitlichen Zusammenhangs und der geografischen Korrelation, auf welche im nächsten Kapitel eingegangen werden soll.

Das Kriterium der Zusätzlichkeit 

Damit eine EE-Stromerzeugungsanlage für die Produktion von erneuerbaren Kraftstoffen eingesetzt werden kann, ist das Kriterium der Zusätzlichkeit zu beachten. Das Kriterium bedeutet, dass der Strom aus einer EE-Stromerzeugungsanlage nur genutzt werden kann, wenn die Anlage maximal 36 Monate vor der Kraftstoffproduktionsanlage in Betrieb genommen ist. Ausnahmen gelten, wenn die EE-Stromerzeugungsanlage bereits eine andere Kraftstoffproduktionsanlage mit elektrischer Energie versorgt hat und das bestehende Stromlieferverhältnis endet.   

Daneben ist zu berücksichtigen, dass bei einer Erweiterung der Produktionsanlage für erneuerbare Kraftstoffe gilt, dass die Erweiterung gleichgesetzt wird mit dem Zeitpunkt der in Betrieb genommen Erstanlage, sofern die Erweiterung in den nächsten 36 Monaten stattfindet. 

Außerdem ist zu beachten, dass die EE-Stromerzeugungsanlage keine finanzielle Unterstützung in Form von Beihilfen/ Investitionshilfen erhalten darf. Eine EEG-Förderung wäre somit nicht zulässig! Ausnahmen für staatliche Beihilfen und Investitionszuschüsse gelten für das Repowering, finanzielle Unterstützung für Grundstücke oder Netzanschlüsse.  

Nach Artikel 11 gibt es zudem noch einen Bestandsschutz für Elektrolyseanlage, die vor dem 1.1.2028 in Betrieb gegangen sind. Für diese Anlagen gilt das Kriterium der Zusätzlichkeit erst ab dem 1.1.2038.  

Das Kriterium des zeitlichen Zusammenhanges 

Neben dem Kriterium der Zusätzlichkeit ist das Kriterium des zeitlichen Zusammenhangs zu beachten. Demnach muss ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Stromerzeugung und der Kraftstoffproduktion bestehen. Als Zeitfenster sieht der delegierte Rechtsakt eine 1h vor, in der der erzeugte Strom verwendet werden muss.  

Allerdings gilt eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2029. Bis zu diesem Zeitpunkt reicht es aus, wenn die Produktion des erneuerbaren Kraftstoffs und der Strommenge im selben Monat stattfindet. Die Mitgliedsstaaten haben die Möglichkeit, die Übergangsfrist zu verkürzen auf den 1. Juli 2027. Ab dem 1. Januar 2030 ist dann der zeitliche Abstand von 1h anzusetzen. Ausnahmen dann nur möglich, wenn der EE-Strom zwischengespeichert wird und direkt hinter dem gleichen Netzanschlusspunkt zu einem späteren Zeitpunkt umgewandelt wird.  

Das Kriterium der geografischen Korrelation 

Als drittes und letztes Kriterium ist die geografische Korrelation zu beachten. Diese gilt nach Artikel 7 als erfüllt, wenn einer der drei Punkte erfüllt ist: 

  1. Die EE-Stromerzeugungsanlage und die Produktionsanlage für erneuerbare Kraftstoffe befinden sich in der gleichen Gebotszone 
  2. Die EE-Stromerzeugungsanlage und die Produktionsanlage für erneuerbare Kraftstoffe sind in einer gleichen Verbundangebotszone (heißt die Anlagen stehen in unterschiedlichen Mitgliedsländern) und der Strompreis in der Gebotszone der EE-Stromerzeugungsanlage muss am day-ahead-Markt höher oder gleich hoch sein wie in der Gebotszone der Kraftstoffproduktionsanlage 
  3. Der Stromabnahmevertrag für erneuerbare Energien und die zugehörige EE-Stromerzeugungsanlage befindet sich in einer Offshore-Gebotszone, die mit der Gebotszone verbunden ist, in der sich der Kraftstoffproduktionsanlage befindet 

Informationspflichten für (erneuerbare) Kraftstoffhersteller 

Im Rahmen der Produktion von erneuerbarem Kraftstoff haben die Kraftstoffhersteller nach Artikel 8 zuverlässige Informationen vorlegen, welche den Anforderungen der Artikel 3 bis 7 (im Kern die dargestellten Kriterien), einschließlich für jede Stunde soweit relevant vorzulegen: 

  • die aus dem Netz bezogene Strommenge, die nicht als vollständig erneuerbar gilt, sowie der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quellen; 
  • die Strommenge, die als vollständig erneuerbar gilt, weil sie aus einem direkten Anschluss an eine Anlage bezogen wurde, die Strom aus erneuerbaren Quellen gemäß Artikel 3 erzeugt; 
  • der Anteil der Strommengen gemäß der unterschiedlichen Möglichkeiten nach § 4 getrennt ausgewiesen 
  • die Menge an erneuerbarem Strom, die von den Anlagen erzeugt wird, die erneuerbaren Strom erzeugen, unabhängig davon, ob sie direkt an einen Elektrolyseur angeschlossen sind und unabhängig davon, ob der erneuerbare Strom für die Herstellung des erneuerbaren flüssigen und gasförmigen Verkehrskraftstoffs, nicht biologischen Ursprungs oder für andere Zwecke 
  • die vom Kraftstoffhersteller produzierten Mengen an erneuerbaren und nicht erneuerbaren, flüssigen und gasförmigen Verkehrskraftstoffen nicht biologischen Ursprungs. 

Nach Artikel 9 können Kraftstoffhersteller ihren Kraftstoff als nachhaltig klassifizieren, wenn sie nachweisen, dass ihr erneuerbarer Kraftstoff nach den Vorgaben des Rechtsaktes auch im europäischen Ausland produziert worden ist.  

Fazit 

Wie evtl. schon beim Lesen des Blogbeitrags ersichtlich geworden ist, dürfte die Produktion von erneuerbarem Kraftstoff mit einigen rechtlichen Hürden verknüpft sein. Da die EU unbedingt ausschließen will, dass es einen Verteilungskampf um die EE-Erzeugungsanlagen gibt, führen die eingeführten Kriterien zu einem höheren Nachweisaufwand. Positiv zu sehen ist, dass ein Übergangszeitraum gewährt, wird gerade im Hinblick auf die Kriterien der Zusätzlichkeit und des zeitlichen Zusammenhanges. Falls es einzelnen Mitgliedsstaaten auch gelingen sollte, bis 2030 einen EE-Anteil im Strommix von mindestens 90 % vorzuweisen, könnte die Produktion von erneuerbarem Kraftstoff deutlich leichter werden, da dann jeder bezogene Strom aus dem öffentlichen Netz der allgemeinen Versorgung als erneuerbarer Strom gilt. Setzt man die deutschen Klimaziele als Maßstab voraus, ist dieser Zeitpunkt mit einem 90 % EE-Anteil noch nicht definiert. Lediglich für 2030 wurde die Zielmarke mit 80 % festgelegt.  

Kritisch ist jedoch zu setzen, dass ausgeförderte EE-Anlagen eine geringe Chance haben von den Neuregelungen zu akzeptieren, wenn das Kriterium der Zusätzlichkeit greift, da die Inbetriebnahme deutlich vor den festgelegten 36 Monaten erfolgt ist. Somit hätten diese Anlagen nur eine Chance, wenn ein Repowering durchgeführt werden würde.  

Interessant könnte es auch werden, die Gebotszonen neu zu bewerten, da lokale Gebiete mit einem hohen EE-Anteil einen Wettbewerbsvorteil generieren könnten, wenn für diese Gebiete die Auflagen sinken, da ein 90 % EE-Anteil vorliegt. Vielleicht könnte dies die Debatte noch einmal verschärfen, ob es in Deutschland nicht mehrere Gebotszonen – Bsp. Nord-/Südgebotszonen – geben sollte. Insgesamt positiv zu werten ist, dass der Rechtsakt endlich erschienen ist und nun wenigstens Planungssicherheit für die Unternehmen besteht. Ob die delegierten Rechtsakte am Ende wirklich eine Hilfe sind, das Thema erneuerbare Kraftstoffe und speziell Wasserstoff zu pushen, bleibt sicherlich in der Praxis noch abzuwarten.   

Marcel Linnemann

Leitung Innovation & Grundsatzfragen Energiewirtschaft
Marcel Linnemann, Wirt. Ing. Energiewirtschaft, Netzingenieur, ist Leiter Innovation und regulatorische Grundsatzfragen bei items und Autor diverser Fachbücher und -artikel rund um die Thematiken der Energiewirtschaft und der Transformation