Wasserstoffnetzfinanzierung: Das Problem der hohen Netznutzungsentgelte
Zuerst der Wasserstoff oder zuerst die Wasserstoff-Infrastruktur? Oder besser beides gleichzeitig? Es ist ein bisschen wie bei der Elektromobilität und dem Henne-Ei-Problem: Was kommt zuerst, das Elektroauto oder die Ladeinfrastruktur? Ähnlich dürfte die Diskussion beim Wasserstoff verlaufen, da eine ganze Wertschöpfungskette parallel aufgebaut werden muss, da eine einzelne Wertschöpfungsstufe kaum eine Existenzberechtigung haben wird. Ein wesentlicher Baustein der Wasserstoff-Infrastruktur dürfte das Wasserstoffnetz sein, das die Wertschöpfungsstufen der Wasserstofferzeugung, -speicherung und -nutzung miteinander verbindet.
Eine wesentliche Frage ist jedoch, wie die Finanzierung des Wasserstoffnetzes und insbesondere die Anschubfinanzierung erfolgen soll. Gerade in der Anfangsphase besteht aus Sicht der Netznutzer die Situation, dass eine kleine Anzahl von Nutzern an eine kapitalintensive Infrastruktur angeschlossen wird. In der Konsequenz muss genau diese kleine Gruppe mit ihren Netznutzungsentgelten die gesamte Netzfinanzierung tragen, wodurch die Netznutzungsentgelte besonders hoch ausfallen dürften. Die wirtschaftliche Attraktivität der Netznutzung sinkt dadurch erheblich, weshalb ein Wasserstoffhochlauf nicht gelingen kann.
Es bedarf daher eines Mechanismus, der den Kostendruck auf die Netznutzer auf ein erträgliches Maß reduziert und den Hochlauf fördert. Wie ein möglicher Mechanismus aussehen könnte, hat die dena in einem Diskussionspapier in Form eines Amortisationsmodells untersucht, das in einem zweiten Schritt von der Kanzlei BBH rechtlich geprüft wurde. In diesem Blogbeitrag soll daher die Funktionsweise des vorgeschlagenen Modells – des sogenannten Amortisationsmodells – sowie die allgemeinen Einflussfaktoren auf die Wirtschaftlichkeit eines Energienetzes näher beleuchtet werden.
Wasserstoffnetzfinanzierung: die Einflussfaktoren im Überblick
Der wirtschaftliche Betrieb einer Energienetzinfrastruktur ist eine wesentliche Grundvoraussetzung für die langfristige Gewährleistung des Ziels der Versorgungssicherheit, um das jeweilige Energienetz sicher, zuverlässig und effizient betreiben zu können. Insgesamt spielen eine Vielzahl von wesentlichen Faktoren eine Rolle, die sich auf die Wirtschaftlichkeit auswirken können. In diesem Abschnitt wollen wir uns jedoch auf drei wesentliche Säulen konzentrieren, die eine große Hebelwirkung auf die Wirtschaftlichkeit des Energienetzes haben.
Die erste Säule ist die Abnahmemenge pro Netzlänge. Für den wirtschaftlichen Betrieb eines Netzes ist es entscheidend, dass eine ausreichende Anzahl von Anschlussnehmern vorhanden ist, die eine ausreichende Menge an Energie verbrauchen. Dabei wirkt es sich positiv aus, wenn das Netz in seiner Struktur möglichst kompakt aufgebaut ist. Kurze Wege und eine hohe Energiedichte mit einer breiten Nutzergruppe zur Abfederung des Risikos bei Ausfall eines Kunden ist hier die Devise.
Die zweite Säule stellt der Aufwand für den zukünftigen Netzbetrieb dar. Hervorzuheben sind hier die Kosten für die Instandhaltung des Netzes. Je höher die Kosten, desto höher die Netznutzungsentgelte. Gerade bei der Umnutzung bestehender Erdgasnetzinfrastrukturen ist davon auszugehen, dass die Instandhaltungskosten höher sind als bei einem kompletten Neubau. Dabei spielen das Alter und natürlich der Zustand eine entscheidende Rolle.
Als dritte Säule sind die regulatorischen Rahmenbedingungen zu betrachten. Sie bestimmen, unter welchen Rahmenbedingungen eine Kostenwälzung und Refinanzierung der Energienetzinfrastruktur überhaupt möglich ist. Mit Blick auf die (noch) geltende Anreizregulierung dürften die Eigenkapitalverzinsung, die Höhe der Restbuchwerte sowie die Bewertung der Effizienz des Netzbetriebs eine wesentliche Rolle spielen.
Wasserstoffnetzfinanzierung: das Amortisationsmodell als Brückenhilfe
Um das Problem der hohen Netzentgelte aufgrund der anfangs geringen Kundenzahl zu vermeiden, hat die dena ein sogenanntes Amortisationsmodell vorgeschlagen. Bei Anwendung dieses Modells erfolgt die Finanzierung des Wasserstoffnetzes in zwei Phasen. In Phase I werden die Netznutzungsentgelte gedeckelt. Dadurch soll die finanzielle Belastung der Netznutzer nicht zu stark ansteigen. Für den Wasserstoffnetzbetreiber entsteht durch die Deckelung der Netznutzungsentgelte eine Finanzierungslücke. Ein wirtschaftlicher Netzbetrieb kann so nicht aufrechterhalten werden. An dieser Stelle greift das Amortisationskonto. Die entstehende Finanzierungslücke wird über die ersten Jahre kumuliert, auf einem Amortisationskonto festgehalten und vom Staat mit finanziellen Mitteln ausgeglichen. Damit sinkt das Finanzierungsrisiko für den Wasserstoffnetzbetreiber.
In Phase II, wenn genügend Netznutzer an das Wasserstoffnetz angeschlossen sind und eine Deckelung der Netznutzungsentgelte nicht mehr erforderlich ist, wird für alle Netznutzer ein Aufschlag auf die tatsächlichen Netznutzungsentgelte aus dem Amortisationskonto erhoben. Der finanzielle Aufschlag fließt an den Wasserstoffnetzbetreiber, der mit der zusätzlichen Liquidität die staatliche Vorfinanzierung zurückzahlt. Insgesamt handelt es sich beim Amortisationsmodell also um ein staatliches Umlageverfahren zur Anschubfinanzierung.
Wasserstoffnetzfinanzierung: die gesetzlichen Voraussetzungen des Amortisationsmodells
Da es sich bei dem Amortisationsmodell um eine staatliche Beihilfe handelt, stellt sich die Frage, inwieweit das Amortisationsmodell mit dem geltenden EU-Recht vereinbar ist. Hierzu hat die Kanzlei BBH ein umfassendes Gutachten erstellt, welches sich mit der Frage der rechtlichen Umsetzung auf Basis des EU-Regelwerks beschäftigt hat. Dabei hat BBH verschiedene Möglichkeiten wie z. B. die Möglichkeit einer Investitionsbeihilfe in Energieinfrastruktur nach Art. 48 AGVO oder die Inanspruchnahme einer Einzelfallgenehmigung nach Art. 107 Abs. 3 AEUV auf der Grundlage verschiedener Leitlinien untersucht.
Dabei differenzierte das Gutachten zwischen den beiden Ansätzen einer Einzelfallgenehmigung auf der Grundlage des Temporary Crisis Framework (TCF – Ziel: Beschleunigte Verringerung der Abhängigkeit von russischem Erdgas im Sinne der REPowerEU-Strategie) oder der Inanspruchnahme der Leitlinien für staatliche Beihilfen für Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (Beihilfen zur Verringerung von Treibhausgasemissionen) – KUEBLL. Im Kern der Studie kommt BBH zu dem Ergebnis, dass nur eine Einzelfallgenehmigung auf Basis der Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen eine Möglichkeit darstellt. Allerdings sind auch hier bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen:
Daher muss das Amortisationsmodell eine Förderung von Investitionen in die Energieinfrastruktur für erneuerbare oder CO₂-arme Energie sein. Somit wäre das Amortisationsmodell nur für Wasserstoffnetze für den Transport von CO₂-armem und erneuerbarem Wasserstoff umsetzbar. Zudem muss die Ausgleichszahlung aus dem Amortisationskonto so ausgestaltet sein, dass es nicht zu einer Überkompensation kommt. Die staatliche Absicherung des Amortisationsrisikos ist daher auf ein Minimum zu beschränken. Darüber hinaus darf das Amortisationskonto nicht dazu führen, dass der Netzbetreiber in Projekte investiert, die er auch ohne Absicherung nicht getätigt hätte, oder dass Risiken finanziert werden, die der Netzbetreiber auch im normalen Verlauf des Netzausbaus, also ohne staatliche Finanzierung, zu tragen hätte.
Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass sich die H2-Netzbetreiber der Kostenregulierung durch die BNetzA unterwerfen. Ein diskriminierungsfreier Netzzugang muss gewährleistet sein. Darüber hinaus muss eine schnellere Umsetzung der Treibhausgasminderung durch das Amortisationskonto erreicht werden. Eine transparente Veröffentlichung der Förderrichtlinie, d. h. wie das Amortisationskonto genutzt werden kann, ist notwendig.
Fazit
Das Amortisationsmodell kann ein mögliches Instrument sein, wie eine Anschubfinanzierung des Wasserstoffnetzes in Deutschland gelingen kann. Es bietet den Netzbetreibern die Möglichkeit, ihre Netznutzer gerade in der Anfangszeit nicht mit zu hohen Netznutzungsentgelten zu belasten und damit die Möglichkeit eines Wasserstoffhochlaufs zu ermöglichen.
Nach dem Rechtsgutachten von BBH erscheint auch die Einführung eines Abschreibungsmodells auf Basis des EU-Rechtsrahmens möglich. Dabei sind jedoch einige Einschränkungen zu beachten. Problematisch könnte hier vor allem sein, dass nur die Förderung von Netzen möglich ist, die ausschließlich erneuerbare oder kohlenstoffarme Gase transportieren. Gerade in der Anfangszeit könnte es aber sein, dass nicht genügend Kapazitäten dieser Art von Wasserstoff zur Verfügung stehen. Es wäre zu untersuchen, ob z.B. blauer Wasserstoff aus Norwegen bei Anwendung des Amortisationsmodells nutzbar wäre.
Darüber hinaus gibt es noch einige offene Fragen, die im Zuge einer Umsetzung der Förderung in Form des Amortisationsmodells zu klären wären. Unter anderem wäre zu klären, nach welchen Kriterien Netzbetreiber eine Förderzusage erhalten? Ob und wie wird zwischen der Förderung des Netzneubaus und der Umrüstung bestehender Gasnetze unterschieden? Und wie soll zwischen der Förderung des Netzneubaus und der Umrüstung bestehender Gasnetze unterschieden werden? Darüber hinaus sollte untersucht werden, wie die potenzielle Nachfrage nach Zugang zu Wasserstoffnetzen und Wasserstoffversorgung (Netzausbauszenarien) überhaupt aussieht.
Insgesamt sind also noch einige Fragen zu klären, sollte das Amortisationsmodell umgesetzt werden. Insgesamt bleibt abzuwarten, wie sich die Rahmenbedingungen für das Thema Wasserstoff / Grüne Gase entwickeln werden, da nicht nur die Frage der Anschubfinanzierung, sondern auch viele andere Themen wie z. B. das Unbundling ungeklärt sind.