27. August 2025

Der werktägliche 24-Stunden-Lieferantenwechsel (LFW24) für Strom ist gerade erst Realität geworden und schon soll er laut Entwurf des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) ab 01.01.2026 auch für Gas- und Wasserstoffkunden gelten. Politisch klingt das nach konsequenter Marktöffnung. IT-seitig ist es jedoch ein komplexes Mammutprojekt, das in diesem Zeitrahmen kaum realisierbar ist. 

Mehr als ein neues EDIFACT Format und APIs 

Auf den ersten Blick wirkt es simpel: bestehende Prozesse aus dem Strombereich übernehmen, Parameter anpassen – fertig. In der Praxis bedeutet der LFW24 Gas und Wasserstoff jedoch eine tiefgreifende Neujustierung der gesamten Marktkommunikation für Gas und Wasserstoff. 

Anpassung der GeLi Gas:  

Der aktuelle Standard der Geschäftsprozesse Lieferantenwechsel Gas, kurz „GeLi Gas“ sieht derzeit einen Wechsel mit zehn Werktagen Vorlauf vor. Um den 24h-Wechsel zu ermöglichen, müssten nicht nur Fristen, sondern auch Prozessketten und Prüfmechanismen grundlegend verändert werden. Hier steht auch tatsächlich eine Aktualisierung zum April 2026 durch die BNetzA auf dem Plan. Daran würden sich monatelange Implementierungsarbeiten anschließen, zumal sich der Gas- und Wasserstoffsektor im Detail von den Strom-Prozessen unterscheidet. Daraus ließe sich eine Implementierung frühestens Mitte 2026 realisieren. Allerdings sieht die GeLi Gas 2.0 den werktäglichen Lieferantenwechsel gar nicht vor. Die Beschlusskammer 7 der BNetzA müsste folgerichtig die GeLi Gas 3.0, die aktuell im Festlegungsverfahren diskutiert wird, anpassen. Diese wiederum dreht sich um die Beendigung der Gasnetzzugangsverordnung zum Ende 2025. Das bedeutet, dass parallel zu den laufenden Prozessen eine GeLi Gas 3.5 oder gar 4.0 entworfen werden müsste, was kaum als realistisch einzuschätzen ist. Damit ergibt sich eine weitere Abhängigkeit, nämlich von der nächsten Festlegung der Bundesnetzagentur. Ohne angepasste Marktregeln (GeLi Gas 3.0/3.5) und klare Schnittstellenfestlegungen ist keine Implementierung möglich. Jede Verzögerung hier verschiebt den gesamten IT-Start. 

Neue EDIFACT-Formate – und das ist erst der Anfang 

Nachrichtenarten wie UTILMD, MSCONS oder APERAK müssten überarbeitet, getestet und synchronisiert werden. Parallelität zu den jetzt eingeführten und deutlich ausdifferenzierteren Strom-Formaten ist zwar wünschenswert, in der Praxis aber kaum übertragbar.  

Marktrollen wie Lieferanten, Netzbetreiber oder Messstellenbetreiber müssten ihre Systeme in synchronisierten Testphasen validieren. Schon im Strombereich hat dieser Schritt Monate verschlungen.  

Grundsätzlich ist zudem festzustellen, dass die heutige Wechselquote im Gasbereich relativ niedrig ist. Ein werktäglicher Wechsel könnte zu erheblichen Spitzenlasten in Gateway-, Clearing- und Abrechnungssystemen führen. 

Lessons Learned aus dem Strombereich 

Der LFW24 Strom hat gezeigt: Die IT-Komplexität steigt exponentiell, sobald Fristen gegen null gehen. Schnittstellenfehler oder asynchrone Datenstände führen zu Prozessabbrüchen. Überträgt man diese Erfahrungen unreflektiert auf Gas und Wasserstoff, drohen massive Störungen in der Marktkommunikation. Dies hat direkte Folgen für Abrechnung, Bilanzierung und Kundenservice. 

Realistischer Fahrplan statt politischem Schnellschuss 

Selbst bei Verabschiedung des Gesetzes im November 2025 ist ein Go-Live zum 01.01.2026 ausgeschlossen. Ein realistisches Szenario könnte sein: 

  • April 2026: Anpassung GeLi Gas durch Bundesnetzagentur 
  • Q2–Q3 2026: Implementierung & Systemtests. 
  • Frühestens Mitte/Ende 2026: Stabile Produktivsetzung. 

Fazit: Schneller Wechsel ja – aber bitte alltagstauglich 

Der LFW24 Gas und Wasserstoff ist ein hochrelevantes, aber risikobehaftetes IT-Großprojekt. Erfolgreich wird es nur, wenn die Prozess- und Datenmodelle vorab vollständig spezifiziert sind, genügend Testzeit eingeplant wird, die Lehren aus Strom konsequent in die Planung einfließen.  

Die finale Entscheidung liegt nun bei Bundestag und Bundesrat. Beide Häuser tagen allerdings erst ab Mitte September, so dass mit einer Verabschiedung kaum vor November zu rechnen ist.  

Gerade in der derzeitigen Komplexität wäre es wünschenswert, die Prioritäten auf die wirklich wichtigen Weichenstellungen zu legen, wie zum Beispiel einen schnelleren und vereinfachten Smart-Meter Rollout, der auch das leistet, was er soll. Will heißen, wer es freundlich formuliert, nennt den LFW24 im Gasbereich „Feinjustierung“. Wer es klarer sagen will, könnte meinen: Wir bauen den Turbo ein und ziehen gleichzeitig leicht die Handbremse an. Ich freue mich über muntere Debatten im parlamentarischen Verfahren und hoffe, dass der Bundestag seinen Gestaltungsauftrag nutzt, um hier eine wirkliche Lösung zu verabschieden.

Dr. Constanze Adolf

Senior Managerin Energiewirtschaft
Constanze Adolf ist promovierte Bankkauffrau mit internationalem Studium. Seit 2024 ist sie Senior Managerin bei der items GmbH & Co. KG, wo sie den Stabsbereich „Strategie & Wissen“ Energiewirtschaft mit aufbaut und das Berliner Büro leitet. Zuvor war sie als Managing Director und Senior Partner in zwei Beratungshäusern tätig, mit Schwerpunkt auf Energy & EU Affairs. Bei einem Energiespeicher-Start-up verantwortete sie zuvor das Business Development. Mehr als 16 Jahre Erfahrung in Brüssel prägen ihre Expertise in der EU-Energie-, Klima- und Nachhaltigkeitspolitik, unter anderem als Executive Director von Green Budget Europe und Generalsekretärin der EUFED. In diesem Blog beleuchtet sie aktuelle regulatorische Entwicklungen und Trends für Stadtwerke, Netzbetreiber und kommunale Akteure.