Flexible Netznutzungsentgelte im Niederspannungsnetz

9. August 2023

Hintergrund – Warum wird es bald flexible Netznutzungsentgelte geben?

Wie können steuerbare Verbrauchseinrichtungen (SteuVE) besser in das Niederspannungsnetz integriert werden? Ob Wärmepumpen oder Ladeinfrastruktur, alle Großverbraucher auf der Niederspannungsebene erleben derzeit ein enormes Wachstum. Mit der zunehmenden Anschlussleistung steigt auch die Auslastung des Niederspannungsnetzes stetig an, sodass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die physikalische Netzkapazität nicht mehr ausreicht, um alle Netzzustände für einen sicheren Betrieb abbilden zu können. Vereinfacht könnte man sagen, dass es den Netzbetreibern in Zukunft voraussichtlich nicht mehr gelingen wird, das Netz so schnell zu ertüchtigen, wie es nach den bisherigen Grundsätzen erforderlich ist, sodass neue Lösungsoptionen gefragt sind.

Aus diesem Grund plant die Bundesnetzagentur eine Weiterentwicklung der Verordnung über steuerbare Verbrauchseinrichtungen im Niederspannungsnetz – kurz § 14a EnWG -, um Wärmepumpen und Co. bei kritischen Netzsituationen abregeln zu können. Über die einzelnen Regelungen des Entwurfs der neuen Verordnung haben wir bereits in einem früheren Blogbeitrag berichtet, dabei aber die Frage offen gelassen, welchen finanziellen Anreiz Betreiber von SteuVE erhalten, wenn sie am Modell des § 14a teilnehmen. Die Antwort ist auf den ersten Blick sehr einfach: flexible Netznutzungsentgelte. Im Kern bedeutet dies, dass SteuVE im § 14a-Modell von Vergünstigungen bei der Erhebung der Netznutzungsentgelte profitieren sollen, da ihre Leistung nicht mehr ganzjährig vollständig, sondern mit einer garantierten Mindestleistung pro SteuVE zur Verfügung steht. Wie die von der Beschlusskammer 8 der BNetzA vorgeschlagenen Regelungen zu flexiblen Netznutzungsentgelten genau aussehen, soll im Rahmen dieses Blogbeitrags näher beleuchtet werden.

Anwendungsbereich – Für wen gelten flexible Netzentgelte?

Damit der Betreiber einer größeren Verbrauchseinrichtung von flexiblen Netznutzungsentgelten nach dem Modell des § 14a EnWG profitieren kann, müssen zunächst zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Verbrauchseinrichtung muss an das Niederspannungsnetz angeschlossen sein und es muss sich um eine SteuVE im Sinne der Verordnung nach § 14a EnWG handeln. Dies sind im Wesentlichen Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge oder Klimageräte. Ausnahmen gelten für Nachtspeicherheizungen. Die Inanspruchnahme der flexiblen Netznutzungsentgelte ist nur möglich, wenn die SteuVE am Modell des § 14a EnWG teilnimmt. Für Neuanlagen, die ab dem 01.01.2024 angeschlossen werden, ist eine verpflichtende Teilnahme vorgesehen. Betreiber von SteuVE müssen in diesem Fall nichts unternehmen. Für Bestandsanlagen gelten jedoch Übergangsfristen.

Sie müssen zum 01.01.2029 auf das neue NNE-Abrechnungssystem umgestellt werden. Für Nachtspeicherheizungen gelten die individuellen Vereinbarungen mit dem Netzbetreiber bis zur Außerbetriebnahme weiter. Altanlagen haben die Möglichkeit, entweder aktiv in das neue System zu wechseln oder nach Ablauf der Übergangsfrist zum 01.01.2029 in das neue Modell überführt zu werden.

Ausgestaltungsvarianten im Überblick – Wofür kann sich der VNE-Betreiber entscheiden?

Die Ausgestaltung der variablen Netzentgelte ist sehr umfangreich, wobei drei verschiedene Ansätze (von der BNetzA Module genannt) verfolgt werden. Eine Möglichkeit für den Betreiber einer SteuVE ist die Inanspruchnahme einer pauschalen Netzentgeltreduktion. Hierfür hat die Beschlusskammer der BNetzA eine Berechnungsformel entwickelt, in die die Kosten für das iMS, die Steuerbox, die Kosten für den Arbeitspreis sowie ein sogenannter Stabilitätsaufschlag einfließen. Der Berechnungsansatz geht somit von einer jährlichen Prämie für den Betreiber der Steuerbox aus. Bei unterjährigem Anschluss erfolgt eine taggenaue Abrechnung im jeweiligen Jahr. Die pauschale Netzentgeltreduktion folgt der Idee, dass die Prämie den Beitrag des Betreibers mit einer SteuVE zur Netzstabilität in der Niederspannung, die höhere Auslastung sowie die Kosten & Effizienzgewinne beim Netzausbau für alle Netznutzer angemessen ausgleichen soll. Die Höhe des pauschalen Abschlags darf das Netzentgelt, das der Netzbetreiber ohne pauschalen Abschlag am Zählpunkt (Messlokation) zu zahlen hätte, nicht überschreiten. Die NNE dürfen also nicht unter null sinken.

Betreiber, die sich für die pauschale NNE-Absenkung entschieden haben, können das sogenannte Anreizmodul (Modul 3) der variablen Netzentgelte in Anspruch nehmen. Die BNetzA verfolgt hierbei die Idee eines ergänzenden Anreizmechanismus zur pauschalen NNE-Absenkung. Die konkrete Ausgestaltung des Anreizmoduls obliegt dem jeweiligen Netzbetreiber. Als Rahmen gibt die BNetzA vor, dass das Anreizmodul aus drei Preisstufen besteht: dem Standardtarif, dem Hochlasttarif und dem Niederlasttarif. Für den Hochlasttarif gilt eine Preisobergrenze von maximal 100 % gegenüber dem Standardtarif und muss mindestens 2h pro Tag gelten. Für den Niederlasttarif gilt eine Preisobergrenze von maximal 80 % und mindestens 10 % im Vergleich zum Niederlasttarif. Damit entspricht die Tarifausgestaltung näherungsweise dem Tarifanwendungsfall 2, der in iMS abgebildet werden muss. Bei der Festlegung der Zeitzonen für die drei Preisstufen ist zu beachten, dass ein Kunde mit SteuVE weder besser noch schlechter gestellt werden darf als ein klassischer H0-Kunde. Die Festlegung der Preisstufen soll jährlich zum Stichtag 15.10. des Vorjahres erfolgen.

Alternativ kann der Betreiber der SteuVE eine prozentuale Reduktion des Arbeitspreises (Modul 2) in Anspruch nehmen. Voraussetzung für die Inanspruchnahme ist ein separater Zählpunkt für die SteuVE. Die prozentuale Entlastung wird von der BNetzA bundesweit auf 60 % des Arbeitspreises (ct/kWh) für die Entnahme ohne Lastgangmessung festgelegt. Durch den Einbau der getrennten Messeinrichtungen ist aus Kundensicht die Möglichkeit von zwei getrennten Abrechnungen gegeben. Darüber hinaus ist eine getrennte Verbrauchserfassung z. B. Voraussetzung, für die getrennte Teilnahme steuerbarer Verbrauchseinrichtungen an variablen Stromtarifen ohne Auswirkung auf den nicht verschiebbaren Haushaltsverbrauch oder für die Befreiung von Umlagen nach §§ 22 Abs. 1 i. V.m. 10 EnFG auf Netzentnahmen für Strom, der in einer elektrisch angetriebenen Wärmepumpe verbraucht wird.

Dem Betreiber der SteuVE stehen somit mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, bei denen er selbst entscheiden muss, welche Variante für ihn den größeren wirtschaftlichen Vorteil bietet. Beratungsbedarf ist an dieser Stelle sicherlich vorprogrammiert. Betrachtet man nur die beiden Ansätze zur Netzentgeltreduzierung, sollte eine Abbildung in den bestehenden IT-Systemen sicherlich möglich sein, auch wenn Anpassungen erforderlich sind. So muss z. B. das Berechnungsformat für die pauschale Entlastung implementiert werden. Auch die variablen Netzentgelte in verschiedenen Zeitzonen sollten umsetzbar sein, hier haben wir in der Energiewirtschaft mit den heutigen HT-NT-Tarifen schon genügend Erfahrung. Komplex wird es sicherlich, wenn wir anfangen, massenhaft verschiedene Tarife miteinander zu kombinieren. Der Kunde wird spätestens ab 2025 die Möglichkeit haben, zwischen den Optionen des § 14a EnWG, dynamischen Tarifen oder klassischen, fixen Stromtarifen zu wählen. Hier den Kunden zu beraten, den optimalen Energievertrag mit einem maßgeschneiderten Risikoprofil zu ermitteln, dürfte aus Sicht des Lieferanten in jedem Fall eine Herausforderung darstellen. Aus Sicht des Netzbetreibers dürften die technischen Fragen deutlich herausfordernder sein als die Umsetzung der reinen NNE-Reduktion.

Messkonzepte, Baukostenzuschüsse, Abrechnung & Co. – Was ist zu beachten?

Neben den verschiedenen Punkten, welche bei der Ausgestaltung der flexiblen Netznutzungsentgelten möglich sind, gibt es weitere Anforderungen hinsichtlich des Messkonzepts, der Baukostenzuschüsse und der Abrechnung. Da die Umsetzung des Messkonzeptes aus Betreibersicht durchaus mit Mehraufwand verbunden sein kann, z. B. durch eine weitere Messeinrichtung für die SteuVE, stellt sich die Frage, wie sich dies auf die Kosten auswirkt. Hier sieht die BNetzA eine vermutlich nachteilige Regelung für den Messstellenbetrieb vor, da nur ein Grundpreis hinter dem Anschlusspunkt zulässig ist, unabhängig von der Anzahl der SteuVE oder separaten Messeinrichtungen.

Auf der anderen Seite haben Netzbetreiber die Möglichkeit, zukünftigen Betreibern von SteuVE eine Rabattierung des BKZ von bis zu 20 % zu ermöglichen. Die BNetzA sieht eine Rabattierung als möglich an, da die Anlage ja nicht permanent die maximale Anschlussleistung zur Verfügung stehe, weswegen eine Vergünstigung gerechtfertigt sei. Die Einführung der Vergünstigung obliegt jedoch dem Netzbetreiber. Für den Netzbetreiber stellt sich daher die Frage, ob er von dieser Vergünstigung Gebrauch machen möchte, da dies kurzfristig einen Liquiditätsverlust bedeutet, welchen er sich über die Jahre zurückholen kann, da erhobene Baukostenzuschüsse sich mindernd auf die Erlösobergrenze auswirken mit einer linearen Abschreibung von 20 Jahren.

Bzgl. der Ausgestaltung der Abrechnung von SteuVE kommen auf die Versorger zusätzliche Anpassungsmaßnahmen zu, da die reduzierten Netznutzungsentgelte separat auf der Rechnung auszuweisen sind. Befindet sich die SteuVE im Modul 1 (pauschale Reduzierung) ist die Reduzierung als eigene Position getrennt und transparent auszuweisen.

Fazit

Mit dem Modell der flexiblen NNE hat die BNetzA sicherlich ein aus Betreibersicht attraktives Angebot geschaffen, weshalb es sich lohnen könnte, am § 14a teilzunehmen, weshalb es durchaus wahrscheinlich sein könnte, dass auch eine Vielzahl von Bestandsanlagen in das Modell wechseln könnte. Auch die Umsetzung scheint mit verhältnismäßigem Aufwand machbar, da die Vergünstigung entweder komplett statisch berechnet wird oder über einfache Berechnungsansätze wie einen prozentualen Abschlag oder unterschiedliche Preise für verschiedene Zeitscheiben, die es heute schon bei den klassischen HT-NT-Tarifen gibt.

Mit Blick auf weitere kommende Instrumente wie z. B. dynamische Tarife dürfte es aus Verbrauchersicht spannend werden, den richtigen Mix an Instrumenten zu finden, um das bestmögliche Ergebnis aus Kundensicht (Preis, Komfort, Risikobereitschaft etc.) zu erzielen. Die verschiedenen Marktsignale könnten sich teilweise widersprüchlich zueinander verhalten, sodass die Komplexität der Tarifgestaltung deutlich zunehmen könnte. Insgesamt dürfte sich daher in den nächsten Jahren ein völlig neuer, auf Preissignalen basierender Markt entwickeln, der jedoch nicht das Ende des klassischen, fixen Jahresstromtarifs bedeutet. Vielmehr wird es darauf ankommen, den Kunden und seine Bedürfnisse genau zu analysieren und das für ihn passende Produkt auszuwählen. Es wird wohl ähnlich wie bei einer Bankberatung sein, das Chancenpotential gegen die Risikoaffinität des Kunden abzuwägen und das entsprechende Produkt auszuwählen. Kunden, die heute auf Festgeld setzen, werden vermutlich bei der sicheren jährlichen Verzinsung bleiben, während aktienaffine Menschen durchaus auf dynamische Marktsignale zurückgreifen, um ein besseres finanzielles Ergebnis zu erzielen. Es bleibt also mit Spannung abzuwarten, wie sich das Thema entwickelt.

Marcel Linnemann

Leitung Innovation & Grundsatzfragen Energiewirtschaft
Marcel Linnemann, Wirt. Ing. Energiewirtschaft, Netzingenieur, ist Leiter Innovation und regulatorische Grundsatzfragen bei items und Autor diverser Fachbücher und -artikel rund um die Thematiken der Energiewirtschaft und der Transformation