Auslaufmodell „vermiedene Netzentgelte“ – Warum die Bundesnetzagentur eine Milliardensubvention streichen will – und was das für Stadtwerke, Strompreise und die Energiewende bedeutet

25. April 2025

Ein alter Mechanismus steht vor dem Aus – und mit ihm eine zentrale Einnahmequelle vieler dezentraler Kraftwerke in Deutschland. Am 23.04.2025 hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) einen Festlegungsentwurf mit dem Geschäftszeichen GBK-25-02-1#1 vorgelegt, der das Ende der sogenannten vermiedenen Netzentgelte (vNNE) einläutet. Die BNetzA will die Zahlungen für die vNNE von heute rund 1Milliarde Euro jährlich in drei Jahren komplett auslaufen lassen. Anders gesagt: vNNE machen bundesweit rund 3 Prozent der Netzkosten aus – umgelegt auf jede Stromrechnung. StromkundInnen könnten somit um 1,5Milliarden Euro entlastet werden.  

Das Auslaufen der vNNE passt sich auch in die Pläne der neuen Bundesregierung hinein, die die Stromkosten für VerbraucherInnen und Gewerbebetriebe um 5 Cent pro Kilowattstunde senken zu wollen. Gleichzeitig bedeutet die Streichung der vermiedenen Netzentgelte für Stadtwerke empfindliche Einnahmeverluste. Netzbetreiber wiederum atmen auf – und die Politik ringt um die richtige Reihenfolge bei der Marktneuordnung. Es geht um viel Geld, alte Strukturen – und um die Zukunft der dezentralen Energieversorgung. 

Was sind vermiedene Netzentgelte – und warum gibt es sie überhaupt? 

„Vermiedene Netzentgelte“ – das klingt zunächst sperrig. Dahinter verbirgt sich allerdings ein einfacher Mechanismus. Dass es diese Zahlungen bislang gab, hat mit der Struktur des deutschen Stromnetzes zu tun, das aus vier Spannungsebenen besteht – vom Höchstspannungsnetz bis hinunter zu den lokalen Verteilnetzen. Ende der 1990er Jahre galt: Wer Strom dezentral in niedrigeren Spannungsebenen einspeist, spart den Ausbau teurer Höchstspannungsleitungen. Dafür versprach §18 Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) den Betreibern konventioneller Kleinkraftwerke, also zum Beispiel Stadtwerken oder Industrieanlagen eine Zusatzvergütung, finanziert über die allgemeinen Netzentgelte. Die Idee war gut – vor 25 Jahren. Denn wer also auf niedriger Netzebene einspeisen konnte, half das teure Höchstspannungsnetz zu entlasten. Diese Überlegung passt sich ein in einer Zeit, als zentrale Großkraftwerke, etwa Atom- und Kohlekraftwerke, den Strombedarf fast vollständig deckten. Kleine, lokal angeschlossene Anlagen konnten in diesem System also durchaus zu einer Entlastung beitragen. Heute stimmt die Rechnung nicht mehr. Denn inzwischen sieht die Energiewelt ganz anders aus. Der Großteil des Stroms stammt heute aus erneuerbaren Quellen – Windräder, Photovoltaikanlagen, Biogasanlagen – und wird dezentral erzeugt. Diese Einspeisung erfolgt ohnehin auf den unteren Spannungsebenen. 

Doch genau diese Logik gerät zunehmend ins Wanken. Denn in der Realität wird auch dezentral erzeugter Strom immer häufiger über große Distanzen transportiert. Die Annahme, dass das Netz durch dezentrale Einspeisung tatsächlich entlastet wird, gilt daher heute oft nicht mehr. Die Netze müssen deshalb flächendeckend ausgebaut werden, auch dort, wo eigentlich „lokaler Strom“ produziert wird. Die ursprüngliche Idee der Kosteneinsparung greift also nicht mehr. Gleichzeitig kostet die Subvention die Verbraucherinnen und Verbraucher Jahr für Jahr rund eine Milliarde Euro, die über die allgemeinen Netzentgelte finanziert werden. Für die BNetzA ist daher klar: Diese vNNe sind nicht mehr zeitgemäß und sollen daher schrittweise bis 2029 abgeschmolzen werden. 

KlausMüller, Präsident der Bundesnetzagentur, sagte bei der Bekanntgabe des Festlegungsentwurfs am 23.04.2025: „Eine Subvention zulasten der VerbraucherInnen ist nicht mehr zeitgemäß.“ 

Der Plan der BNetzA: Stufenweiser Abschied bis 2029 

Um den Betreibern von dezentralen Erzeugungsanlagen Planungssicherheit zu geben, schlägt die BNetzA eine Staffelung der Reduktion der vNNE vor. Beginnend am 01.01.2026 sollen die Entgelte jährlich um 25 Prozent abgesenkt werden. Ab 2029 sollen keine Entgelte für dezentrale Einspeisung mehr ausgezahlt werden.  

 

Der Stufenplan der Bundesnetzagentur 

Jahr 

Auszahlung an Kleinkraftwerke 

Einsparung für Netznutzer 

2025 

~1Mrd.€ (Status quo) 

 

2026 

75% 

0,5Mrd. 

2027 

50% 

1,0Mrd.€ kumuliert 

2028 

25% 

1,5Mrd.€ kumuliert 

ab2029 

0% 

dauerhaft abgeschafft 

 

Quelle: Festlegungsentwurf der BNetzA, 24.04.2025 

 

Ziel ist es, die Netzentgelte transparenter und verursachungsgerechter zu gestalten und unnötige Subventionen abzubauen.  

Der Entwurf kommt nicht überraschend. Die Kritik an vermiedenen Netzentgelten ist nicht neu. Schon 2017 wurden Solar- und Windkraftanlagen von der Vergütung ausgenommen, auch die Berechnungsgrundlagen wurden damals eingefroren. Seitdem sind die Kosten deutlich gesunken – aber rund 12.000 konventionelle Anlagen, viele davon KWK-basiert, erhalten weiterhin Zahlungen. 

Verbände schlagen Alarm: Sorge um die Kraft-Wärme-Kopplung 

Kaum war der neue Vorschlag öffentlich, regte sich Widerstand. Besonders der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) kritisieren die Abschmelzung scharf. Ihr Hauptargument: Die Maßnahme gefährde die Wirtschaftlichkeit steuerbarer, dezentraler Bestandsanlagen, insbesondere von KWK-Anlagen, die sowohl Strom als auch Wärme liefern. 

„Der Vorschlag kommt zur Unzeit“, sagt VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Gerade jetzt, wo laut Koalitionsvertrag neue Kapazitäten zur gesicherten Leistung aufgebaut werden sollen, drohe durch die Reform eine neue Versorgungslücke. Auch der BDEW warnt: In Zeiten wachsender Unsicherheit bei Investitionen sei die Abschaffung einer etablierten Vergütung das falsche Signal. Es brauche vielmehr Verlässlichkeit und Planungssicherheit. 

Fachleute: Ja zum Abschied – aber mit Maß und Ziel 

Trotz der lauten Kritik: In der Fachwelt überwiegt die Zustimmung. Der Energiewirtschaftsexperte Andreas Jahn vom Regulatory Assistance Project hält die Subvention für überholt: „Die Bezuschussung über vermiedene Netzentgelte entspricht nicht verursachungsgerechten Netzentgelten. Wenn KWK weiter gefördert werden soll, dann bitte über klar definierte Instrumente – nicht über Umwege.“ 

Auch Wolfgang Fritz vom Beratungsunternehmen Consentec sieht den Vorschlag der BNetzA als folgerichtig. Dass die Stromnetzentgeltverordnung zum Ende 2028 ausläuft, mache den gewählten Zeitpunkt passend, um alte Regelungen zu beenden und Raum für ein neues, einheitliches System zu schaffen. 

Offene Baustellen 

Kommunale Wärmeplanung 

Viele NahwärmeNetze basieren auf KWKAnlagen, deren Business Case vNNE einpreiste. Hier sind Alternativen nötig für größere Wärmepumpen, industrielle Abwärme und Speicher. Dafür hat die Bundesregierung zum Beispiel einen Sofort-Bonus für die Bundesförderung effizienter Wärmenetze beschlossen, der aber nur ein Puzzleteil für die großen Investitionsvorhaben sein kann. Die Frage stellt sich, wie vor allem auch privates Kapital angezogen werden kann.   

Rechts- & Vertrauensschutz 

Auch wenn bekannt ist, dass die StromNEV mit dem 31.12.2028 ausläuft, müssen Verträge und Finanzierungen, die auf Jahrzehnte angelegt waren, neu bewertet werden. Hier könnte eine Übergangsfinanzierung oder steuerliche Abschreibung helfen. 

Nächste Schritte – BNetzA konsultiert ihren Vorschlag bis Ende Mai   

  • Bis 23.05.2025 können Marktakteure ihre Stellungnahmen zur Konsultation bei der BNEtzA einreichen.  
  • Die Finale Festlegung der BNetzA ist für Sommer 2025 angekündigt. Die Tatsache, dass die BNetzA kein Eckpunkteverfahren zwischenschalten will, um sich auf Grundlage der Konsultationsergebnisse noch einmal die Rückmeldung der betroffenen Akteure einzuholen, deutet darauf hin, dass sich die Bonner Behörde entschlossener als bei anderen Themen zeigt, ihren Vorschlag umzusetzen.  
  • Gesetzlicher Endtermin 31.12.2028: Auslaufen der StromNEV 

Fazit: Strukturreform oder Kürzungswelle? 

Mit der geplanten Reform der vermiedenen Netzentgelte kippt die BNetzA eine 25Jahre alte Subvention, um Netzkosten zu senken und das Fördersystem an die Realität eines erneuerbaren Strommixes anzupassen. Dass die Stromnetzentgeltverordnung zum Ende 2028 ausläuft, ist eine gute Gelegenheit, um alte Regelungen zu beenden und Raum für ein neues, einheitliches System zu schaffen. 

Was allerdings aus Sicht der Netzlogik konsequent erscheint, ist aus Perspektive vieler Anlagenbetreiber ein tiefer Einschnitt. Die Debatte um die vermiedenen Netzentgelte ist damit auch ein Symbol für einen größeren Wandel: Weg von pauschalen Förderungen, hin zu zielgenauer, technologieoffener Unterstützung, die tatsächliche Systemdienlichkeit belohnt – nicht historische Sonderwege. 

Für VerbraucherInnen winkt eine moderate Entlastung, für Stadtwerke und konventionelle Kleinkraftwerke steht ein Umbau der Geschäftsmodelle an. Ob der Schritt die Energiewende beschleunigt oder Investoren verschreckt, hängt nun davon ab, wie schnell Politik und Branche das künftige Strommarktdesign – inklusive Kapazitätsmarkt und Kraftwerksstrategie – auf den Weg bringen. 

Links zum Weiterlesen: 

Bundesnetzagentur (2025): Verfahrenseinleitung Geschäftszeichen GBK-25-02-1#1, Festlegungsentwurf & Konsultationsformular  

Constanze Adolf, Ph. D.

Senior Managerin Energiewirtschaft
Constanze Adolf ist promovierte Bankkauffrau mit internationalem Studium und über 16 Jahren Erfahrung in Brüssel, wo sie sich auf EU-Energiepolitik, nachhaltige Finanzstrategien und Umweltökonomik spezialisierte. Nach Stationen in einem Energiespeicher-Start-up und leitenden Rollen in Beratungsfirmen ist sie seit Oktober 2024 als Senior Managerin bei der items GmbH & Co. KG tätig. Dort baut sie den Bereich „Energiewirtschaft: Strategie & Wissen“ mit auf und ist für das Berliner Büro zuständig. Ziel des Stabs ist es, die zunehmende regulatorische Komplexität zu antizipieren und fundiert einzuordnen, um sie in strategische Beratungsleistungen zu übersetzen.