Kundenselbstablesung: Graubereich in der Vergangenheit
Das Ablesen und Erfassen von Verbrauchswerten zur Erstellung der energiewirtschaftlichen Abrechnung ist in der Energiewirtschaft eine der Standardherausforderung schlechthin. Im Fokus stehen hier die SLP-Kunden, deren Messwerte in Gegensatz zu RLM-Kunden nicht aus der Ferne ausgelesen werden. Dies bedeutete in der Energiewirtschaft jahrzehntelang die Anwendung des Turnschuhprinzips, also die Ablesung des Zählers vor Ort. Mittlerweile stehen mit Systemen zur Kundenselbstablesung jedoch Alternativen am Markt zur Verfügung, bei denen der Kunde seinen Verbrauchsstand selbst ablesen und an sein EVU übermitteln kann. Mittlerweile haben digitale Lösungen die klassische analoge Ablesekarte abgelöst, bei der der Kunde z. B. mittels einer App seinen Verbrauchswert direkt an seinen Versorger übermitteln kann.
Allerdings gerieten mit dem Beschluss des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) und dem damit verpflichtenden Einbau von intelligenten Messsystemen (iMsys) Lösungen zur Kundenselbstablesung zunehmend in den Graubereich. Vielen Versorgern war nicht klar, ob Systeme zur digitalen Erfassung im Rahmen einer Kundenselbstablesung eine Übertragung aus der Ferne über ein Kommunikationsnetz darstellen können, wodurch der Einsatz eines iMsys Pflicht gewesen wäre. Da Systeme zur Kundenselbstauslesung gerade bei Haushaltskunden vorkommen, deren Verbrauch meist unter 6.000 kWh p. a. liegt und keine iMsys-Pflicht besteht, herrschte eine große Verunsicherung in der Energiewirtschaftsbranche, ob solche Systeme überhaupt zulässig sind. Einige EVUs sahen im Einsatz von Systemen zur Kundenselbstablesung einen zentralen Kostenvorteil gegenüber dem iMsys, während andere EVUs auf das BSI verwiesen, mit der Begründung, dass jedes System, das Messwerte aus der Ferne erfasst, über das iMsys ausgelesen werden müsste. Andere setzten bereits Systeme auf LoRaWAN-Basis um, zur Anpassung des monatlichen Abschlags sowie zur Bestätigung des Messwerts als Selbstablesung zu Abrechnungszwecken. Mit der Novellierung des EnWG im Juni 2021 hat sich nun der Gesetzgeber dem Graubereich der Systeme zur Kundenselbstablesung gewidmet und mit dem §40a EnWG eine neue rechtliche Grundlage zur Erfassung der Verbrauchsermittlung erlassen.
§40a EnWG Verbrauchsermittlung Strom und Gas im Detail
Im Zuge der Novellierung des EnWGs wurde der §40a EnWG zur Verbrauchsermittlung von Strom und Gas eingeführt. Demnach ist der Energielieferant berechtigt, zur Ermittlung der Verbrauchs- und Rechnungsstellung nach §40 Abs.2 EnWG Ablesewerte über drei verschiedene Wege zu erheben.
Die erste Möglichkeit ist der Erhalt der Mess- und Ersatzwerte über den Netzbetreiber bzw. Messstellenbetreiber; §40a Abs.1 Nr.1 EnWG. Dies dürfte vor allem für Kunden relevant sein, die bereits über eine ZFA oder ein iMsys verfügen. Perspektivisch dürfte dies alle Letztverbraucher mit einem Jahresverbrauch größer 6.000 kWh betreffen, wenn eine Erzeugungsanlage größer 7 kW oder ein Ladepunkt für ein Elektromobil installiert ist. Als zweite Möglichkeit besteht weiterhin die Option, die Zähler manuell über das Turnschuhprinzip abzulesen; §40a Abs.1 Nr.2 EnWG. Dies dürfte dann vor allem die Haushaltskunden betreffen, die weniger als 6.000 kWh p. a. verbrauchen und nicht über eine Erzeugungsanlage größer 7 kW oder einen Anschluss für einen Ladepunkt verfügen.
Alternativ haben Energielieferanten nun rechtlich die Möglichkeit, ihre Letztverbraucher zur Nutzung einer Lösung zur Kundenselbstablesung zu verpflichten; §40a Abs.1 Nr.3 EnWG. Hierbei handelt es sich um ein System, bei dem die „Ablesung der Messeinrichtung vom Letztverbraucher mittels eines Systems der regelmäßigen Selbstablesung und Übermittlung der Ablesewerte durch den Letztverbraucher“ erfolgt. In diesem Zuge darf keine Fernübertragung der Verbrauchsdaten über ein anderes System erfolgen. Dies bedeutet, dass Kunden mit einem iMsys keine Systeme zur Kundenselbstablesung verwenden dürfen. Kunden können der Pflicht zur Selbstablesung nur im Einzelfall aus unzumutbaren Gründen widersprechen; §40a Abs.1 EnWG. Der Energielieferant hat die Kosten einer alternativen Ablesung in diesem Fall selbst zu tragen. Liegen dem Energielieferanten keine Daten über den abrechnungsrelevanten Zeitraum vor, ist er berechtigt, eine Schätzung des jährlichen Verbrauchs durchzuführen. Die Kriterien nach §40a Abs.2 EnWG sind zu beachten.
Kundenselbstablesung vs. iMSys – Was ist erlaubt?
Mit der Neueinführung des §40a EnWG stellt sich nun für den Energielieferanten die Frage, über welche Ablesevariante die Erfassung der Messwerte seiner Kunden erfolgen soll. Für Kunden, die nach dem MsbG mit einem intelligenten Messsystem ausgestattet werden sollen, stellt sich diese Frage weniger. Hier bekommt der Energielieferant die relevanten Messwerte zur Abrechnung über den Netz- bzw. Messstellenbetreiber. Dies betrifft wie bereits erwähnt alle Kunden mit einem Jahresverbrauch größer 6.000 kWh, mit einer Erzeugungsanlage größer 7 kW oder einem eigenen Ladepunkt zur Versorgung von Elektromobilen. Für alle weiteren Kunden ist der Einbau optional.
Somit stellt sich für das EVU gerade bei Haushaltskunden mit einem Verbrauch kleiner 6.000 kWh, deren Anteil im Netz am höchsten ist, die Frage ob, ein System zur Kundenselbstablesung oder weiterhin das Turnschuhprinzip angewendet werden soll. Hier kann gerade dann der Einsatz eines Systems zur Kundenselbstablesung Sinn ergeben, wenn ein höherer Datenbedarf erforderlich ist, das Ablesen nach dem Turnschuhprinzip nicht wirtschaftlich ist oder kein Personal mehr zur Verfügung steht. Der Grund für einen höheren Datenbedarf an Messwerten kann sich hingegen auf Grund gesetzlicher Vorschriften oder neuer Geschäftsmodelle von EVUs ergeben, die eine höhere Granularität an Daten erfordern. Aus diesem Grund macht es Sinn, sich die neuen Regeln zur Verschärfung der Rechnungs- und Informationszeiträume anzuschauen.
§40b EnWG – Verschärfung der Rechnungs- und Informationszeiträume
Im Rahmen der EnWG-Novelle wurden nicht nur die Anforderungen zur Verbrauchsermittlung, sondern auch der Rechnungs- und Informationszeiträume angepasst. Wie bereits in der Vergangenheit, ist der Energielieferant verpflichtet, seinem Kunden mindestens einmal pro Jahr eine Abrechnung seiner Verbrauchsmenge nach den Anforderungen des EnWG zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus sind Energielieferanten nun verpflichtet, ihren Kunden aktiv „eine monatliche, vierteljährliche oder halbjährliche Abrechnung, die unentgeltliche elektronische Übermittlung der Abrechnungen und Abrechnungsinformationen sowie mindestens einmal jährlich die unentgeltliche Übermittlung der Abrechnungen und Abrechnungsinformationen in Papierform“ anzubieten §40 Abs.1 EnWG. Sofern der Letztverbraucher keinen Abrechnungszeitraum bestimmt, ist dieser durch den Energielieferanten festzulegen.
Verfügt der Kunde nicht über ein System zur Fernauslesung seines Zählers, sind dem Kunden die „Abrechnungsinformationen mindestens alle sechs Monate oder auf Verlangen einmal alle drei Monate unentgeltlich zur Verfügung zu stellen“; §40b Abs.2 EnWG. Für Kunden mit Systemen zur Fernauslesung hat dies jeden Monat zu erfolgen. Durch die Festlegung der häufigeren Informationsbereitstellung kann es für das EVU daher Sinn machen, vermehrt auf Systeme zur Kundenselbstablesung zu setzen für Kunden ohne Systeme zur Fernauslesung. Einige EVUs, wie z. B. die enercity, nutzen bereits solche Systeme auf LoRaWAN-Basis und nutzen die IoT-ERP-Bridge der items zur Bereitstellung der IoT-Daten in der Abrechnung. Neben der häufigeren Ablesung der Messsysteme hat der Kunde außerdem ein Anspruchsrecht, seine historischen Verbrauchsdaten der letzten drei Jahre vom Energielieferanten zur Verfügung gestellt zu bekommen; §40b Abs.5 EnWG. Die Bereitstellung der Daten könnte über die neue Marktrolle des Energieserviceanbieters (ESA) erfolgen, den wir bereits in einem eigenen Blogbeitrag vorgestellt haben.
Fazit zur Kundenselbstauslesung
Mit der Regelung im EnWG über den Einsatz von Systemen zur Kundenselbstauslesung herrscht nun endlich Klarheit über den rechtlich legitimen Einsatz solcher Systeme. EVUs müssen sich nun nicht mehr entscheiden, ob sie vollständig auf das iMsys oder Systeme zur Kundenselbstauslesung setzen wollen, sondern können die vollständige Bandbreite der zur Verfügung stehenden Technologien einsetzen. Am Ende ist in der Praxis von einem Technologiemix auszugehen. Für Kunden, die bereits unter die Rechte und Pflichten des MsbG fallen, ändert sich mit der Novellierung nichts. Für kleine Haushaltskunden hat das EVU mit der Anbindung an ein SMGW, dem Turnschuhprinzip und dem System zur Kundenselbstauslesung aber nun drei legitime Werkzeuge an der Hand. In welcher Form sich der Einsatz der Ablesemöglichkeiten in der Zukunft entwickeln wird bleibt abzuwarten. Auf Grund der verschärften Vorschriften der häufigeren Informationszeiträume gegenüber dem Kunden ist es jedoch als wahrscheinlich anzusehen, dass das Turnschuhprinzip durch das System der Kundenselbstauslesung ersetzt wird, sofern kein Einbau eines iMsys geplant ist.
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