23. September 2025

Die Kundenanlage, wie sie im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) §3 Nr. 24 und 16 definiert war, ebnete den Weg für viele Quartierskonzepte und Mieterstromprojekte in Deutschland. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom November letzten Jahres brachte das Konzept ins Wanken (s. ENWIKO 05/2025). In diesem Artikel haben wir für Sie alle Hintergründe, laufenden Entwicklungen und Ideen der Branche gesammelt.

Eine Kundenanlage bezeichnet im energiewirtschaftlichen Kontext das interne Stromnetz eines Grundstücks oder Gebäudes, das hinter dem Netzanschlusspunkt liegt und vom Netzbetreiber abgegrenzt ist. Im Mieterstrommodell wird über diese Anlage der lokal erzeugte Strom (z.B. aus einer PV-Anlage) direkt an die Mietenden weitergeleitet, ohne das öffentliche Netz zu durchlaufen. Bei Quartierskonzepten wird die Kundenanlage auf mehrere Gebäude oder ein ganzes Areal ausgeweitet, sodass mehrere Parteien innerhalb eines abgegrenzten Areals mit lokal erzeugtem Strom versorgt werden können. Dadurch entstehen rechtliche und technische Vorteile, da der Strom innerhalb der Kundenanlage netzentgeltfrei verteilt werden kann.

Hintergrund: Kundenanlage eines Quartierskonzepts landet vor dem BGH

Ausgangspunkt war das Bestreben eines Energieversorgers, zwei BHKW in einem Quartier von rund 100 Wohnungen als Kundenanlage zu betreiben. Der lokale Netzbetreiber verweigerte dies und lehnte den Anspruch auf einen gemeinsamen Netzanschluss ab. Jährlich wurden ca. 288 MWh durch das Netz des Quartiers geleitet. Der Fall landete schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH), dieser rief daraufhin den EuGH an, um zu klären, ob die Rechtsfigur Kundenanlage mit der europäischen Strombinnenmarktrichtlinie vereinbar sei. Der EuGH verneinte dies, Mitgliedsstaaten dürften den unionsrechtlichen Begriff des Verteilernetzes nicht eigenmächtig durch nationale Ausnahmeregelungen verändern.

In einer Urteilsbegründung vom Mai 2025 bestätigte der BGH diese Einordnung:

  • Gemäß Art. 2 Nr. 28 der europäischen Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2019/944 umfasse jedes System zur Verteilung von Elektrizität an Kunden ein Verteilernetz, unabhängig von der Spannungsebene. Somit sei die deutsche Praxis der Kundenanlagen unionsrechtswidrig.

EuGH-Definition eines Verteilnetzes:

Netz, das zur Weiterleitung von Elektrizität mit Hoch-, Mittel oder Niederspannung dient, die zum Verkauf an Großhändler und Endkunden bestimmt ist.

  • Begründung: Ziel der europäischen Binnenmarktregeln sei eine einheitliche Auslegung des Netzbegriffs, diese sei nicht mehr gegeben.
  • Zusätzlich unterlaufe die deutsche Definition den Wettbewerb und Verbraucherschutz:  EndverbraucherInnen in Kundenanlagen in Quartierskonzepten haben z.B. keinen freien Lieferantenwechsel, weil sie vom Betreiber der Kundenanlage versorgt werden. Zugleich ist der diskriminierungsfreie Zugang anderer Anbieter nicht gewährleistet. Dies verstößt gegen fundamentale Vorgaben des EU-Energierechts: Marktzugang, Drittzugang zu Netzen und Verbraucherschutz.

Bisherige Rechtslage in Deutschland:

Im deutschen EnWG gibt es aktuell drei Netzdefinitionen:

  1. Energieversorgungsnetze der allg. Versorgung (EnWG § 3 Nr. 16):

Elektrizitäts- oder Gasnetze über mehrere Spannungsebenen welche der Verteilung von Energie an Dritte dienen und für die Versorgung jedes Letztverbrauchers offenstehen

  1. Geschlossene Verteilernetze (EnWG § 110):

Energieversorgungsnetze, die der Kundenversorgung in einem geografisch begrenzten Industrie-/Gewerbegebiet dienen. Sie dürfen nicht bzw. nur in geringem Umfang der Versorgung von Haushaltskunden dienen. Tätigkeiten der Anschlussnutzer müssen aus konkreten (sicherheits)technischen Gründen verknüpft sein.

  • Eigenversorgung bzw. Versorgung verbundener Unternehmen
  1. Kundenanlage
    a. EnWG § 3 Nr. 24a: Energieanlagen zur Abgabe von Energie welche größen- bzw. mengenmäßig beschränkt ist auf die Belieferung von KundInnen in einem Haushalt/ einer Anlage. Vollständige Ausnahme von der Netzregulierung.
    b. EnWG § 3 Nr. 24b: Energieanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung ohne die Belieferung Dritter. Ebenfalls vollständige Ausnahme von der Netzregulierung.

Entscheidung des EuGH & Begründung des BGH: Verkauf als Dreh- und Angelpunkt

Da die dritte Möglichkeit, die Kundenanlage nach EnWG § 3 Nr. 24a, den Netzbegriff der Union zu weit verändert, ist sie laut EuGH-Urteil unionsrechtswidrig. Der EnWG § 3 Nr. 24a bleibt in seinen Grundzügen also bestehen, nur der Anwendungsbereich wird beschränkt: Die Vorzüge einer Kundenanlage können weiterhin in Anspruch genommen werden, sofern der erzeugte Strom nicht an Dritte verkauft wird.

Die betriebliche Eigenversorgung nach EnWG § 3 Nr. 24b ist davon allerdings nicht betroffen, da hier die erzeugte Energie selbst verbraucht und nicht verkauft wird.

Der BGH nahm die Entscheidung des EuGH an. In seiner Begründung legte er fest, dass nur eine Energieanlage, die kein Verteilnetz ist, bei einer richtlinienkonformen Auslegung eine Kundenanlage sein kann. Sofern eine Weiterleitung ohne Verkauf wie bei der Eigenversorgung stattfindet, ist die Anlage vom europäischen Netzbegriff nicht betroffen und kann als Kundenanlage zur Eigenversorgung nach EnWG § 3 24b fortbestehen.

Was bedeutet das für Mieterstrom & Contracting Modelle?

Probleme entstehen hier aber für viele Mieterstrom und Contracting Projekte, da die erzeugte Energie an KundInnen verkauft wird und so für die Betreiber streng genommen die Pflichten eines Verteilnetzbetreibers gelten. Auch kann die bisherige Förderung nicht weiterlaufen und es fallen Netzentgelte an, einige Projekte sind so ggf. nicht mehr wirtschaftlich.

Bei den Entscheidungen muss eines aber beachtet werden: Sie beziehen sich nur auf den konkreten Einzelfall, also das Quartierskonzept, welches letztes Jahr vor dem BGH landete. Generell gilt, dass aktuelle Anlagen weiterlaufen können, solange sie nicht Teil eines Verfahrens werden. Proaktives Handeln bietet sich also an, um seinen Projekten Rechtssicherheit zu gewähren.

Das sind aktuelle Probleme für laufende und künftige Projekte

Für künftige Anlagen wird die Kundenanlage nun erst einmal unsicher:

  • Netzbetreiber könnten den Anschluss verwehren mit Verweis auf die Urteile
  • Die Kundenanlage wird unwirtschaftlich, da doch Netznutzungsentgelte (NNE) fällig werden
  • Die Anlage kann nach dem Start selbst zum Streitfall werden, je nachdem ob die BNetzA tätig wird drohen auch ordnungsrechtliche Konsequenzen

Welche Möglichkeiten weiterhin bestehen, was die Alternativen ausmachen, stellen wir Ihnen im nachfolgenden Unterkapitel vor. Grob steht fest, dass, solange die Kundenanlage innerhalb eines Gebäudes oder auf einem Grundstück der Drittversorgung dient, es nicht zu Problemen kommen sollte. Generell gilt aber, dass man mit einer Einzelfallprüfung am sichersten fährt.

Sobald die Kundenanlage größere Ausmaße annimmt, wie etwa in Quartierskonzepten oder bei der Versorgung mehrerer nicht zusammengehörender Unternehmen in einem Industriegebiet, ändert sich das: Sobald die Größe der Anlage in etwa derer entspricht, welche den Fall auslöste, sollte man sich um andere Konstellationen bemühen. Dann müssen Betreiber sich Gedanken machen, ob sich eine Eingliederung in das Netz anbietet oder gar andere Modelle umgesetzt werden könnten.

Entscheidungsbaum: Wann besteht Handlungsbedarf bei meiner bestehenden Kundenanlage im Mieterstrommodell?

Quelle: Eigene Darstellung

Lösungsmöglichkeiten im Kurzüberblick:

Wie kann die Politik die Lage entschärfen? Vorschlag des VIK:

Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e.V. (VIK) hat einen ersten Fahrplan mit Lösungsmöglichkeiten vorgestellt. Langfristig sollen auf europäischer Ebene die Richtlinien so angepasst werden, dass der besondere Charakter industrieller Standortversorgung anerkannt wird.

Kurzfristig fordert der Verband den deutschen Gesetzgeber auf, nationale Vorschriften, die über EU-Vorgaben hinausgehen, zurückzuführen. Am schnellsten könnten zudem die Regeln der BNetzA angepasst werden, um Betreiber geschlossener Industrieinfrastrukturen von Pflichten zu befreien, die eigentlich für Verteilnetze gedacht sind:

Private Energieinfrastrukturen, die ausschließlich der Eigenversorgung dienen, sollen von der Netzregulierung ausgenommen bleiben. Dritte innerhalb solcher Anlagen würden so behandelt, als wären sie direkt am öffentlichen Netz angeschlossen – mit eigenen Messpunkten und regulären Netzentgelten.

Auch fordert der Verband einen neuen EnWG § 110a für „Besondere Geschlossene Verteilernetze“. Damit könnten industrielle Standortnetze mit einem auf die EU-Mindestpflichten reduzierten Regelwerk betrieben werden, ohne durch zusätzliche nationale Anforderungen belastet zu werden.

VIK-Hauptgeschäftsführer Christian Seyfert betonte, es gehe nicht um neue Bürokratie, sondern um eine passgenaue Regulierung, die den industriellen Standortbetrieb anerkennt und schützt. Eine schnelle Umsetzung sei entscheidend, um Planungs- und Investitionssicherheit für die Industrie zu gewährleisten.

Fazit:

Bisher gilt leider erstmal (weiter) abwarten – das Problem kann aktuell nur durch politische Maßnahmen, ob auf europäischer oder Bundesebene, gelöst werden. Anlagen mit einer ähnlichen Größe wie die Anlage des Streitfalles sollten eine Prüfung in Betracht ziehen und ggf. auf andere Konstellationen ausweichen. Kleinere Kundenanlagen scheinen aktuell noch keine allzu großen Probleme zu befürchten haben, bei Unsicherheit bieten sich Einzelfallprüfungen an. [PZ]

Quellen

Webinar von Aecoute: Nahtoderlebnis der Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a/b EnWG, gehalten am 23.07.2025 von Dr. Malte Weitner

energate messenger: VIK legt konkrete Lösungen für Kundenanlagen vor, abgerufen am 18.08.2025

Lietz, F., Hanke, Y. & Füglein, M.: Die Kundenanlage und die 5. Kammer des Schreckens des EuGH, abgerufen am 09.09.2025

Paula Ziegler

Energiewirtschaft Strategie & Wissen