Redispatch 3.0 – Wie geht es weiter?

27. Juli 2022

Nach Redispatch 2.0 kommt Redispatch 3.0

Die Implementierung von Redispatch 2.0 ist gerade erst abgeschlossen, es wird noch an den ein oder anderen Prozessstellschrauben gedreht, da ist bereits die nächste Anpassung auf Redispatch 3.0 in Arbeit.

Bislang gilt eine Grenze von 100 kWpeak für Erzeugungsanlagen, die in die Redispatchprozesse zur Netzstabilisierung eingebunden werden müssen. Zur Erinnerung: Der Begriff Redispatch bezeichnet die kurzfristige Änderung des Kraftwerkseinsatzes auf Geheiß der Übertragungsnetzbetreiber zur Vermeidung von Netzengpässen. So sollen auch neben Netzengpässen die Frequenz und Spannung stabil gehalten und die thermische Überlastung von Betriebsmitteln vermieden werden. Wurden im Redispatch 1.0 lediglich konventionelle Kraftwerke ab 10 MWPeak von den ÜNBs für Redispatchmaßnahmen herangezogen, sind es nun durch die Herabsenkung auf die 100 kW Schwelle, viele Erzeugungsanlagen auch auf den unteren Spannungsebenen. Da sich jedoch die meisten Erzeugungsanlagen im Netz unterhalb der 100 kW Schwelle befinden und die Energiewende zur Sicherstellung eines funktionierenden Netzes noch mehr Steuerungsmaßnahmen benötigt, wird bereits heute an einer Überarbeitung hin zum Redispatch 3.0 gearbeitet. Den aktuellen Entwicklungsstand zum Thema Redispatch 3.0 wollen wir uns in dem Blogbeitrag einmal näher anschauen.

Redispatch 3.0 – Was ist geplant?

Generell ist zu sagen, dass sich das Thema Redispatch 3.0 sich noch in seiner Anfangsphase befindet. Kernziel dürfte es jedoch sein, die unzähligen, kleinen Erzeugungsanlagen vor allem auf der Niederspannungsebene in die Redispatchprozesse zu integrieren. Da mehr als 95% aller Erzeugungsanlagen im Niederspannungsnetz installiert werden und die Energiewende vor allem durch die Integration von kleinen EE-Anlagen, Ladeinfrastruktur sowie Wärmepumpen vorangetrieben wird, ist bereits heute absehbar, dass die Redispatch 2.0 Prozesse für Anlagen bis 100 kWPeak nicht ausreichen.

Somit besteht die zentrale Herausforderung nicht mehr einige zehntausende Anlagen, sondern Millionen zu steuern, zu koordinieren und mittels Redispatch das Netz zu stabilisieren. Zentrales Steuerungselement dürfte das intelligente Messsystem in Kombination mit einer Steuerbox darstellen. Durch die Infrastruktur, welche aktuell für intelligente Messysteme aufgebaut wurde und wird, lassen sich die notwendigen Marktprozesse schaffen, welche auch im Redispatch genutzt werden können.

Zusammenfassend kann somit gesagt werden, dass mit dem Redispatch 2.0 eine Umstellung der Netzführungsprozesse auf ein planwertbasiertes Verfahren erfolgt. Spontanes Herunterregeln bei Netzengpässen von EE-Anlagen, vor allem Wind- und PV-Anlagen, soll so vermieden werden. Basis hierfür ist ein prognosebasierter Netzengpassvermeidungsprozess zwischen Netzbetreibern und so genannten Anlageneinsatzverantwortlichen. Mit dem Redispatch 3.0, soll perspektivisch die Integration privater Kleinstanlagen in die Prognose und Netzoptimierungsprozesse erfolgen. Herfür bedarf es einer größeren und besser integrierten Datenbasis. Relevante Daten bilden die Grundlage für KI-Algorithmen und Integration der in Entstehung befindlichen SMGW-Infrastruktur (Smart Meter Gateway) zur BSI-regelkonformen sicheren IoT-Kommunikation mit jeglichen potentiell steuerbaren Energieerzeugungs- und Verbrauchseinheiten. Die Prognose und Steuerung der Anlagen werden zunehmend eine der zentralen Herausforderungen sein.

Redispatch 3.0 – Herausforderung für die IT-Architektur

Um die bestehende Redispatch-Infrastruktur für das Redispatch 3.0 fit zu machen, bedarf es also einer Kommunikations- und IT-Infrastruktur, welche große Mengen von Daten speichern und zur Erstellung von Prognosen verarbeiten kann. Die Informationen sind zwischen den beteiligten Akteuren auszutauschen. Das BMWK schreibt auf seiner Homepage dazu: „Funktional geht es um die Migration der Redispatch 2.0-Bausteine in föderierte Cloud-Infrastrukturen, verstärktes Data Sharing zwischen Netzbetreibern und anderen Akteuren, sowie die Transformation von klassischen SCADA-basierten (Supervisory Control and Data Acquisition) Fernwirktechniken zur Netzsteuerung auf innovative IoT-Infrastrukturen, die mittels SMGW-Infrastruktur sicherheitstechnisch abgesichert sein werden.“

Für die IT-Architektur ist dabei eine der wesentlichen Erkenntnisse, dass es bei Redispatch 3.0 nicht mehr ausreichen wird, sämtliche Prozesse über das klassischen Netzleitsystemen (NLS) abzubilden. Stattdessen bedarf es einer Cloud-basierten und BSI-regelkonforme IoT-Alternative für eine direkte Kommunikation mit dezentralen Erzeugungs- und Verbrauchseinheiten mit weniger als 100 kW Nennleistung. Die Grundlage der Kommunikationsinfrastruktur zu Erzeugungs- und Verbrauchseinheiten bildet hierbei das intelligente Messsystem mit integrierter Steuerbox über einen abgesicherten CLS-Kanal.

GAIA-X-Infrastruktur für Redispatch 3.0?

Das sich klassische Scada-Systeme nicht für die zukünftigen Anforderungen eignen IoT-Daten in großen Megen zur Steuerung und Prognose zu verarbeiten, schlägt das BMWK als mögliche Alternative die GAIA-X-Infrastruktur als BSI-konforme Lösung vor.

So soll „[…] durch die Gaia-X Infrastruktur eine signifikant breitere Nutzung der KI/Machine Learning (ML)-Technologien für die Erzeugung unterschiedlicher Prognosearten, Ermittlung der Redispatch-Potentiale, sowie die Planungen und Umsetzung der Steuerungseingriffe in mehrere tausend dezentrale Erzeuger und Verbraucher erreicht werden. Daneben sollen durch Edge Computing und Cloud Meshs die systemkritischen Funktionen so auf die Gaia-X Knoten und Edge-Compute-Einheiten der Netzbetreiber verteilt werden, dass z.B. aufgrund strombedingter Nicht-Erreichbarkeit von Gaia-X Knoten in einer Region der ordnungsgemäße Redispatch-Betrieb in anderen Regionen sichergestellt werden kann.

Die Umsetzung der Redispatch-Prozesse der Energieversorgung ermöglicht eine Einführung und signifikante Verbesserung der KI/ML-basierten Prognose- und Einsatzplanungsalgorithmen in Redispatch-Prozessen. Die Netzauslastung kann optimiert werden. Ferner wird durch den Einsatz von Edge Compute-Fähigkeiten und des föderierten Ansatzes der Gaia-X-Knoten für Redispatch-Lösungen Erfahrung gesammelt, um eine Migration weitere OT-orientierten Use Cases der Domäne Energie auf Cloud-Technologien vorbereiten zu können. Konkrete weitere Anwendungen sind dann insbesondere: Dezentrale Trainings von KI/ML-Algorithmen für Prognosen, Condition Monitoring, skalierbarere und hochautomatisierte Leitsysteme aus der Cloud, sowie Schaffung neuer Energie – Flexibilitäts – Produkte und Märkte für Anlagenbetreiber.“

Aufgaben im Redispatch 3.0

Forschungsprojekt Redispatch 3.0 – die Akteure

Wie bereits am Anfang des Beitrages erwähnt befindet sich das Thema Redispatch 3.0 gerade erst noch im Aufbau. In dem zugehörigen Forschungsprojekt Redispatch 3.0 entwickeln insgesamt fünfzehn Partner aus Industrie, Forschung, Übertragungsnetzbetreiber und Verteilnetzbetreiber die Konzepte aus dem Redispatch 2.0 weiter, um zusätzlich das Flexibilitätspotenzial der Niederspannungsebene zu nutzen. Als IT-Dienstleister ist u.a. das Unternehmen Kisters eingebunden. Dieses soll einen Entwurf, Implementierung und Test einer SCADA-App entwickeln.

Fazit zum Redispatch 3.0

Die Weiterentwicklung von Redispatch 2.0 zu Redispatch 3.0 stellt nur einen logischen Schritt auf dem Weg zur Transformation des Energiesektors dar. Bereits bei Beginn der Implementierung der Redispatch 2.0 Prozesse war klar, dass für eine stabile Stromnetze mit einem hohen EE-Anteil und einer Vielzahl neuer Verbraucher auch kleinere Anlagen und Verbraucher in die Redispatchprozesse zu integrieren sind.

Mit dem Statement des BMWK, dass für die zukünftige Umsetzung die bestehenden IT-Systeme zur Verarbeitung hoher Mengen von Daten und zur Erstellung von Prognosen nicht mehr über klassische Netzleitsysteme (SCADA) erfolgen soll, räumt das BMWK mit einer Diskussion innerhalb der Branche auf, ob als zentrales System zur Umsetzung der Redispatchprozesse das SCADA-System oder eine alternative Lösung aufgebaut werden sollte. Mit dem Ziel kleinere Anlagen über IoT-Technologien steuern zu wollen, ist eine zweite, separate Infrastruktur erforderlich. Da das Thema BSI-Konformität für diese Infrastruktur eine wichtige Rolle spielen wird, bietet sich die Idee des BMWKs an die Nutzung von GAIA-X zu prüfen.

Welche Infrastruktur es nun am Ende wird oder ob die Auswahl in der Entscheidungsbefugnis der zuständigen Netzbetreiber liegen wird, bleibt abzuwarten. Genauso die noch ausstehenden Entwürfe und Ergebnisse des Forschungsprojektes Redispatch 3.0. Fest steht aber aufjedenfall: Das nächste Redispatchprojekt wird sicherlich nicht allzu lange auf sich warten lassen und nicht weniger zeitintensiv sein, als das vergangene. Man darf also gespannt sein:)

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Marcel Linnemann

Leitung Innovation & Grundsatzfragen Energiewirtschaft
Marcel Linnemann, Wirt. Ing. Energiewirtschaft, Netzingenieur, ist Leiter Innovation und regulatorische Grundsatzfragen bei items und Autor diverser Fachbücher und -artikel rund um die Thematiken der Energiewirtschaft und der Transformation