Die Evolution des Stromkunden: Vom passiven Abnehmer zur aktiven Marktteilnahme

22. November 2023

Von der Abnahmestelle zum Stromkunden 

Wer sich an die Energiewirtschaft vor gut zwei bis drei Jahrzehnten erinnert, wird wissen, dass die Bedeutung des Stromkunden, heute meist Endverbraucher genannt, meist eine untergeordnete Rolle spielte. Durch die durchgängige Monopolstruktur der Versorger von der Erzeugung über die Verteilung bis zum Vertrieb des Stroms hatten die Kunden keine Möglichkeit, sich für einen alternativen Stromanbieter zu entscheiden, so dass man immer auf ein Energieunternehmen als Lieferanten angewiesen war.

So ist es nicht verwunderlich, dass in den alten IT-Systemen nicht von Stromkunden oder Endverbrauchern die Rede war, sondern vom technischen Begriff der Abnahmestelle, bei der sich der Versorger wenig um den Vertrieb oder das Marketing der Stromkunden kümmern musste. Inzwischen hat sich die Welt verändert. Jeder von uns hat als Privatkunde die Wahl zwischen einer Vielzahl von Stromanbietern (wenn nicht gerade eine Energiekrise herrscht😊). Schaut man sich den Monitoringbericht der Bundesnetzagentur (BNetzA) an, sind es meist mehr als 100 Anbieter. So sind wir es mittlerweile gewohnt, alle ein bis zwei Jahre einen neuen Stromvertrag abzuschließen, wenn wir nicht in der Grundversorgung bleiben wollen.

Mit Blick auf die Energiewende und die weitere Liberalisierung des Energiemarktes ist ein zunehmender Trend zu erkennen, der es den Stromkunden immer mehr ermöglicht, aktiv am Energiemarkt teilzunehmen und von individuellen Vorteilen zu profitieren, um die eigenen Stromkosten zu optimieren. Begriffe wie Mieterstrom, Gebäudestrom oder Energiegemeinschaften fallen hier schnell, wodurch sich auch die Rolle des Stromkunden als reiner Verbraucher von elektrischer Energie verändert. Aus diesem Grund soll im Rahmen dieses Blogbeitrags eine Einordnung in die verschiedenen Einteilungsmöglichkeiten der Rolle des Letztverbrauchers aus regulatorischer Sicht vorgenommen werden, um einen besseren Überblick zu erhalten. Dabei wird zwischen drei Kategorien unterschieden: dem individuellen Letztverbraucher und dem kollektiven Stromverbrauch mit und ohne Nutzung des öffentlichen Netzes.

Die Möglichkeiten des einzelnen Letztverbrauchers 

Der bisher am häufigsten anzutreffende Standardfall ist der einzelne Letztverbraucher, der sich selbst mit Energie versorgt. Als Letztverbraucher wird in der Regel eine „natürliche oder juristische Person, die Energie für den eigenen Verbrauch bezieht“ verstanden, wie „auch der Strombezug von Ladepunkten für Elektromobile und der Strombezug von Landstromanlagen […]“.

Der einzelne Letztverbraucher hat ohne Nutzung eines Kollektivs in der Regel zwei Möglichkeiten, Strom zu beziehen und seine Konditionen zu optimieren. Die erste Möglichkeit ist der Abschluss eines auf 1 oder 2 Jahre befristeten Energieliefervertrages. Alternativ fällt der Haushaltskunde (Verbraucher mit einem Jahresverbrauch < 10.000 kWh nach EnWG) in die Grundversorgung. Damit hat der Letztverbraucher die Möglichkeit, seinen Lieferanten frei zu wählen und nach bestimmten Kriterien wie z.B. Preis oder Nachhaltigkeit auszuwählen.

Alternativ hat der Letztverbraucher die Möglichkeit, den Anteil der bezogenen Energie zu reduzieren, indem er einen Teil der Energie selbst verbraucht und durch eine mögliche Befreiung von Umlagen seine Kosten reduziert. Nach § 21b Abs. 4 EEG muss der Strom aus einer Anlage in unmittelbarer räumlicher Nähe ohne Nutzung des öffentlichen Netzes verbraucht werden. Überschüssiger Strom kann jedoch ins Netz eingespeist und vermarktet werden. Die rechtliche Grundlage hierfür findet sich auch auf EU-Ebene, wonach nach EU 201/2001 Art.2 Nr.14 der Kunde als Eigenversorger das Recht hat, EE-Strom zu erzeugen, zu speichern und zu verkaufen.

In der Vergangenheit wurde das Eigenverbrauchsprivileg vor allem von Immobilieneigentümern genutzt, da Eigenverbrauch nur dann vorlag, wenn Identität zwischen Verbraucher und Betreiber der Erzeugungsanlage bestand. Mieter konnten daher kaum von der Regelung profitieren. Seit kurzem besteht die Möglichkeit, dass Mieter und auch Eigentümer mit einer steckerfertigen Solaranlage (PV-Balkonanlage) bis zu einer Leistung von 2 kW ihre Wohneinheit direkt mit elektrischer Energie versorgen und selbst in den Genuss des Eigenverbrauchsprivilegs kommen. Nach § 3 Nr. 43 EEG-Entwurf ist eine Stecker-Solaranlage „eine Einrichtung, die aus einem Solargenerator oder mehreren Solargeneratoren, einem Wechselrichter, einer Anschlussleitung und einem Stecker zum Anschluss an den Endstromkreis eines Letztverbrauchers besteht“.

Endverbraucher, die sowohl Strom erzeugen als auch verbrauchen, werden umgangssprachlich als Prosumer bezeichnet. Der Begriff ist auch in der IEC 60050-617 definiert. Auf europäischer Ebene wird das Synonym “aktiver Kunde” verwendet.

Neben der Eigenerzeugung hat der Letztverbraucher auch die Möglichkeit, seinen Verbrauch zu flexibilisieren und dynamische Tarife zu nutzen. Darunter ist nach § 3 Nr. 31b EnWG ein Stromliefervertrag mit einem Letztverbraucher zu verstehen, „[…] der die Preisschwankungen auf den Spotmärkten einschließlich der Day-Ahead- und Intraday-Märkte in Zeitabständen widerspiegelt, die mindestens den Abrechnungszeiträumen des jeweiligen Marktes entsprechen“.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der einzelne Endverbraucher die Möglichkeit hat, sich als reiner Stromkonsument zu positionieren, indem er einen Stromliefervertrag abschließt. Alternativ kann er seinen Strombezug durch Eigenverbrauch reduzieren, wobei Erzeugung und Verbrauch in unmittelbarer räumlicher Nähe ohne Nutzung des öffentlichen Netzes erfolgen müssen.

Kollektiver Stromverbrauch ohne öffentliche Netznutzung 

Aus Endkundensicht ergeben sich weitere Möglichkeiten, wenn sich mehrere Letztverbraucher zu einem Kollektiv zusammenschließen. Hier stehen dem Kollektiv ab 2024 zwei Möglichkeiten zur Verfügung, wenn das öffentliche Netz nicht genutzt werden soll: das Mieterstrommodell oder das gemeinschaftliche Gebäudeversorgungsmodell.

Das Mieterstrommodell in Deutschland ermöglicht es Mietern in Mehrfamilienhäusern, Solarstrom aus einer Photovoltaikanlage auf dem Dach ihres Gebäudes zu nutzen. Im Kern wird der erzeugte Solarstrom direkt an die Mieter geliefert, die so ihren eigenen Ökostrom beziehen und von reduzierten Energiekosten profitieren. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und Anreize für Vermieter, die in Photovoltaik investieren, wurden geschaffen, um die Verbreitung erneuerbarer Energien in Wohngebäuden zu fördern. Die gesetzliche Grundlage für dieses Modell findet sich in §21 Abs. 3 EEG.

Beim Mieterstrom ist jedoch zu beachten, dass der Mieterstrombetreiber gegenüber den Letztverbrauchern immer als Energielieferant auftritt (Vollversorgung), die Stromkunden also keinen separaten Vertrag mit einem Stromlieferanten abschließen, da die Residuallieferung sowie die Überschussvermarktung aus der Anlage über den Mieterstrombetreiber erfolgt.

Neu ist ab 2024 als Alternative zum Mieterstrom das Modell der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung (§42b EnWG-Novelle). Hier übernimmt nicht mehr ein zentraler Betreiber die Vollversorgung aller teilnehmenden Letztverbraucher innerhalb eines Gebäudes, sondern nur noch eine Teilversorgung über die PV-Anlage. Die Wahl des Lieferanten bleibt weiterhin beim Letztverbraucher. Dieser erhält nun zwei Strompreise. Der erste Preis wird mit dem Betreiber der Erzeugungsanlage für den Eigenverbrauch abgerechnet und über einen Schlüssel auf die Teilnehmer des Gebäudestrommodells verteilt. Der zweite Preis ergibt sich aus dem Liefervertrag, den der Endverbraucher mit dem Stromlieferanten abgeschlossen hat.

Beide Modelle basieren somit auf der europäischen Regelung nach der Richtlinie EU/2018/2001 Art. 2 Nr. 15 + Art. 21. Auf Basis dieser Regelung soll Eigenversorgern das Recht eingeräumt werden, sich zu einer Gemeinschaft zusammenzuschließen und elektrische Energie gemeinschaftlich zu nutzen, was dem Kerngedanken des Mieterstrom- und Gebäudestrommodells entspricht.

Kollektiver Stromverbrauch mit begrenzter Netzdurchleitung 

Der Stromverbrauch muss sich jedoch nicht auf ein Kollektiv beschränken, das sich hinter dem Anschluss an das öffentliche Netz befindet. Vielmehr gibt es auf europäischer Ebene bereits ein Regelwerk, das auch Konstruktionen in einem räumlich begrenzten Netzgebiet zulässt.

Auf europäischer Ebene gibt es hierzu verschiedene Rechtsgrundlagen, die den kollektiven Zusammenschluss fördern. Dazu gehören nach EU 2019/944 Art. 2 Nr. 11 und § 3 Nr. 15 EEG Bürgerenergiegemeinschaften, die eine auf freiwilliger und offener Mitgliedschaft beruhende juristische Person sind, die von ihren Mitgliedern oder Anteilseignern, bei denen es sich um natürliche Personen, Gebietskörperschaften einschließlich Kommunen oder kleine Unternehmen handelt, tatsächlich kontrolliert wird.

Ihr Hauptzweck besteht nicht in der Erzielung eines finanziellen Gewinns, sondern darin, ihren Mitgliedern oder Anteilseignern oder den lokalen Gebieten, in denen sie tätig ist, einen ökologischen, wirtschaftlichen oder sozialen Nutzen für die Gemeinschaft zu bringen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Erzeugung, einschließlich der Erzeugung aus erneuerbaren Energiequellen, der Verteilung, der Versorgung, dem Verbrauch, der Aggregation, der Speicherung, der Energieeffizienzdienstleistungen oder dem Aufladen von Elektrofahrzeugen oder anderen Energiedienstleistungen, die für ihre Mitglieder oder Anteilseigner erbracht werden können.

Ähnliche Rahmenbedingungen gelten auch für Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften, die in der EU-Richtlinie 2018/2001 geregelt sind. In der Praxis ist jedoch zu beobachten, dass sich der Fokus beider Gemeinschaftsformen auf die Errichtung und Vermarktung von Energiemengen aus Erzeugungsanlagen beschränkt. Ein tatsächlicher Handel und gemeinsamer Verbrauch von Energie innerhalb der Gemeinschaft findet nur in wenigen Fällen statt. Aus diesem Grund plant die EU die Einführung von Möglichkeiten des Energy Sharing. Darunter versteht man die Möglichkeit, dass sich einzelne Akteure zu einem Netzwerk zusammenschließen, gemeinsam Energie aus eigenen oder fremden Anlagen beziehen und den Strom zu vergünstigten Konditionen über das öffentliche Stromnetz teilen. Die genaue Ausgestaltung und die Möglichkeiten von Sharing-Communities werden derzeit noch diskutiert.

Der Wandel des Endverbrauchers: Vom passiven Stromkunden zum aktiven Gestalter der Energiewende

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Rolle des Endverbrauchers in den letzten Jahren gewandelt hat und voraussichtlich weiter wandeln wird. Statt einer eindimensionalen Betrachtung hat der Stromkunde die Option, sich auf einer mehrdimensionalen Ebene an verschiedenen Möglichkeiten zu beteiligen, um immer mehr Teil der Energiewende zu werden.

Mit Blick auf die anstehenden regulatorischen Veränderungen wird immer deutlicher, dass der Gesetzgeber den aktiven Kunden als Teil des Energiemarktes bevorzugt. Durch die stärkere Einbindung des Einzelnen soll die Grundlage geschaffen werden, das Nachfrageverhalten der Stromkunden so anzupassen, dass sie ihre Energie dann verbrauchen, wenn die volatilen Erzeugungsanlagen auch ihren Strom produzieren. Statt statischer Nachfrage und flexiblem Angebot wird das System auf dynamische Nachfrage und teilweise volatile Erzeugung vorbereitet.

Es ist daher davon auszugehen, dass die Energiewirtschaft weiterhin mit neuen Energieprodukten, neuen Kooperationsformen und Aggregationsansätzen von Erzeugern und Nachfragern konfrontiert sein wird. Die Einordnung des heutigen Blogbeitrags liefert hoffentlich eine erste Grundlage, um die Frage, was eigentlich der Endverbraucher ist, differenzierter zu betrachten.

Marcel Linnemann

Leitung Innovation & Grundsatzfragen Energiewirtschaft
Marcel Linnemann, Wirt. Ing. Energiewirtschaft, Netzingenieur, ist Leiter Innovation und regulatorische Grundsatzfragen bei items und Autor diverser Fachbücher und -artikel rund um die Thematiken der Energiewirtschaft und der Transformation